„Jede Rolle, die ich verkörpere, hat sehr viel von meiner Gefühlswelt.“

Im Gespräch mit Musicaldarstellerin Abla Alaoui

In Bad Hersfeld wird wieder gespielt: Nach der coronabedingten Zwangspause im vergangenen Sommer stehen drei Stücke auf dem Spielplan der 70. Festspiele. Eines davon ist das Musical „Goethe!“, das am 3. Juli seine Uraufführung in der Stiftsruine feiert. Als Charlotte Buff, unglückliche Liebe Goethes und Vorbild für Lotte in „Die Leiden des jungen Werther“, wird Abla Alaoui auf der Bühne zu sehen sein. Mit Theaterliebe sprach die Musicaldarstellerin über ihre Rolle, die Produktion und die Zeit der Pandemie.

Die Corona-Pandemie bestimmt jetzt bereits seit mehr als einem Jahr unsere Leben. Kannst du sagen, wann und wo du von dem ersten Lockdown und der Schließung der Theater erfahren hast?

Vom ersten Lockdown habe ich in Wien erfahren. Ich war an einem Freitag für ein Fitting dort und hörte zunächst, dass man am kommenden Montag die Grenzen schließen würde und dann, dass es in Österreich einen Lockdown geben würde. Es fühlte sich sehr unwirklich, aufregend und besorgniserregend an. Ein wirklich seltsamer Mix aus Gefühlen und sicherlich ging es vielen auch so. In Deutschland ließ der Lockdown dann auch nicht mehr lang auf sich warten.

Kurz zuvor hast du noch bei der österreichischen Erstaufführung von Aspects of Love mitgewirkt. Wie hast du diesen Übergang von erfolgreicher Erstaufführung hin zu abgesagten Produktionen  und leeren Theatern erlebt?

Es war eine Zeit der Fassungslosigkeit. Man kann sagen, dass wir Darsteller:innen den bekannten Spruch „The Show Must Go On“ im Blut haben und jeder, der mit Herzblut dabei ist, tut teilweise Unmenschliches, um eine Show nicht ausfallen zu lassen. Das einzige Mal, bei dem ich erlebte, dass eine Show abgesagt wurde, war nach einem Blitzeinschlag in das Zeltdach des Metronom Theaters. Damals hatten wir alle ein kleines Hochgefühl, gingen in großer Gruppe Eis essen und machten uns einen schönen, freien Abend. Diesmal war da plötzlich etwas, das sehr viel größer war. So groß, dass die Theater nicht nur einen Abend schlossen, sondern (zunächst) für Wochen. So redeten wir uns ein. Die Wochen wurden Monate. Und daraus über ein Jahr. Ich denke, die Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit meiner Kolleg:innen und mir stieg genauso exponentiell wie die Zahlen der Infizierten.
Da ich zu der Zeit eine Pause zwischen zwei Produktionen hatte, war der Schnitt nicht allzu hart. Doch viele meiner Freund:innen hatten, ohne es zu wissen, Abschied von ihrer Show genommen und waren sehr traurig.

Abla Alaoui in dem Musical Sister Act. Foto: privat

Wie hast du die durch die Corona-Pandemie zwangsläufig gewonnene Zeit genutzt? 

Ich habe seit meinem Start ins Business sehr wenige Pausen genommen und diese erzwungene hat mir bewusst gemacht, was es wirklich bedeutet, sich auszuruhen. Es war eine Chance, meinen Körper und Geist so zur Ruhe kommen zu lassen, wie ich es mir im normalen Arbeitsleben nie zugestanden hätte. Diese erzwungene Ruhe hat mich natürlich irgendwann trotzdem verrückt gemacht. Ich liebe es zu arbeiten und es fehlte mir furchtbar. Ich brauche Routine und Beschäftigung, so suchte ich mir neue Projekte, erforschte, was mir Spaß machte und entdeckte alte Leidenschaften.

Ein früherer Berufswunsch von dir war Schriftstellerin. Aktuell schreibst du auch an einem Buch. Was für ein Buch ist das? 

Es wird ein Romantic-Comedy Roman, der sich mit verschiedenen Kulturen beschäftigt. Mehr verrate ich noch nicht. Durch die Pandemie hatte ich definitiv mehr Zeit für das Schreiben, aber ich bin sicher, dass auch im Spielbetrieb genug Raum dafür bleibt.

Mit der Little Musical Academy (LMA) bist du auch als Gesangscoach tätg. Wie und wann ist es zu diesem Projekt gekommen?

Die LMA ist auch ein Projekt, das während der Pandemie entstand. Viele Menschen mussten Monate auf kreative Ventile und den Theater- und Musicalbesuch verzichten. Ich wollte ihnen eine Möglichkeit bieten, ihren Musicals und Leidenschaften so nah wie möglich zu kommen – virtuell. Neben dem Gesangunterricht und der Monologarbeit, die ich anbiete, haben sich viele meiner Kolleg:innen mit jahrelanger Bühnenerfahrung bereit erklärt, Musical Workshops zu geben. So entstand eine Plattform, in der Musicalliebhaber ihren Lieblingsmusicals und Musicalstars nahe kommen können. Sobald die Pandemie dies zulässt, plane ich definitiv, die Workshops und Coachings in Studios in verschiedenen Städten stattfinden zu lassen und nicht mehr online.

Auf deinem Instagram-Kanal hast du „Liebe sich, wer kann“ zum „Filmtitel“ deines Lebens gekürt. Wie würde der Titel deines Films für das letzte Jahr lauten? Und warum?

„Warten ist auch Kunst“, weil man es sich Zuhause auf der Couch kunstvoll gemütlich machen musste.

Auch in „Tanz der Vampire“ war Abla Alaoui schon zu sehen. Foto: privat

Langsam sind die ersten Theaterpremieren in diesem Jahr in Sicht und auch schon gelaufen. Du wirst in Bad Hersfeld in „Goethe“ spielen. Was bedeuten diese Produktion und die Rolle der Charlotte für dich?

Ich kenne das Stück „Goethe““ schon seit 2016, da ich damals Teil eines Workshops war. Im Rahmen dieses Workshops wurde das Stück in einer kleinen Besetzung probiert und weiterentwickelt. Schon damals habe ich mich in den Witz, die Gefühlswelt und den mitreißenden Charme des Buches, der Texte und Melodien verliebt. Ein Stück in seinen Kinderschuhen kennenzulernen und für eine mögliche Zukunft auf der Bühne an die Hand zu nehmen, schafft eine große emotionale Verbindung. Zu hören, dass „Goethe“ in Bad Hersfeld gespielt wird, hat mich von Herzen gefreut. Dann noch die Nachricht zu bekommen, dass ich die Lotte verkörpern darf, hat mich direkt auf Wolke 7 katapultiert. Lotte ist frech, wild und stark. Sie hat keine Angst vor Emotionen und einem Ausbruch aus Konventionen. Einzig die Liebe und Treue zu ihrer Familie, lässt sie am Ende die schwerste Entscheidung ihres Lebens überstehen. Diese emotionale Reise zu spielen, ist wie ein Spielplatz für mich!

Was macht für dich das Stück „Goethe“ im Allgemeinen und die Bad Hersfelder Produktion im Besonderen aus?

„Goethe““ verbindet so viele verschiedenen Elemente miteinander. Es ist modern, aber nimmt doch die Magie der originalen Texte Goethes auf, ohne uns damit zu erschlagen oder zu langweilen. Es bringt so viele Songs in unsere Musicalwelt, die Ohrwurm-Potenzial haben. Alles in allem passt es wunderbar zu Bad Hersfeld. Die Festspiele haben in diesem Jahr ihre Treue und ihren Glauben an die Kulturbranche bewiesen, in dem sie alles dafür taten, die diesjährigen Stücke auf die Bühne zu bringen. Sie stecken in jede Produktion all ihr Herzblut und „Goethe!“ ist für die Kulisse der Stiftsruine wie geschaffen!

Wie hat sich das Stück seit den Tryouts verändert hat und was wird bei der Inszenierung anders sein?

Da wir während des Workshops nur sechs Tage Zeit hatten, das komplette Stück präsentabel auf die Bühne zu bringen, gab es viel Zeitdruck. Wir haben nun die Möglichkeit, szenisch und musikalisch sehr viel genauer zu arbeiten. Mit unserem hervorragenden Ensemble entstehen zudem große Tanznummern, und alles in allem kann das Stück sehr viel mehr atmen als während des Workshops.

Macht es für dich bei der Darstellung einer Rolle einen Unterschied, ob es sich um eine historische Persönlichkeit handelt? Gehst du anders an eine solche Rolle heran?

Definitiv. Neben Lotte Buff in „Goethe!“ war auch Bonnie Parker in „Bonnie & Clyde“ eine Rolle, bei der es sich um eine historische Persönlichkeit handelte. In diesen Fällen setze ich mich definitiv mit dem Leben der Frauen auseinander. Da helfen das verlässliche Internet, Bücher und Dokumentationen. Besonders im Fall von Bonnie habe ich mich gründlich informiert, um sie so gut wie möglich kennenzulernen und mich mit ihrem Charakter vertraut zu machen. Ich weiß noch, dass ich nach stundenlanger Recherche einen Forumeintrag von einem ihrer direkten Verwandten fand. Er schrieb darüber, wie der wahre Charakter Bonnie Parkers in seiner Familie weitergegeben wurde. Diese Informationen waren natürlich Gold wert. Bei Charlotte ist es ein wenig anders, da sich die Storyline des Musicals von ihrem tatsächlichen Leben unterscheidet. Da halte ich mich mehr an die Informationen und Anforderungen, die das Script vorgeben.

 

Was bringst du von deiner Persönlichkeit in die Rolle der Charlotte ein?
Ich denke, es ist nicht direkt die eigene Persönlichkeit, die man in eine Rolle bringen sollte. Jede Rolle, die ich verkörpere, hat sehr viel von meiner Gefühlswelt. Schließlich bedeutet Schauspiel seine eigenen Emotionen, Reaktionen und Gedanken mit denen der Rolle zu verschmelzen. Wenn meine Lotte sauer ist, dann bin ich sauer mit ihr und für sie. Wenn sie traurig und verzweifelt ist, lacht und Spaß hat, dann sind das meine Emotionen. Ich denke, dass man immer einen großen Teil der eigenen Gefühlswelt für Rollen offenlegen muss, damit sie authentisch werden. Es ist stimmt natürlich, dass unsere Persönlichkeit eng mit unserer Gefühlswelt verknüpft ist. Eine Rolle zu spielen, bedeutet manchmal sogar, seine eigene Gefühlswelt und Persönlichkeit in Regionen zu strecken, die man privat nie ausleben würde – beispielsweise als Mörder:in oder Vergewaltiger:in. Nicht ohne Grund hält sich das Gerücht wacker, dass man als Schauspieler:in eine halbe Stunde nach der Vorstellung vor Gericht als unzurechnungsfähig gilt. Wohin wir unser Sein beim Rollenspiel gehen lassen, kann sehr belastend werden. In solchen Fällen ist es immer sehr wichtig, sich nach der Vorstellung Zeit zu nehmen, um wieder in sich anzukommen.

Die Premiere von Goethe ist für den 3. Juli angesetzt. Wenn du an diesen Moment denkst: Welche drei Worte fallen dir zuerst ein?

Dankbarkeit, Herausforderung und Sommergewitter.

Worauf dürfen sich die Zuschauer:innen, die nach Bad Hersfeld kommen werden, ganz besonders freuen? Und worauf freust du dich besonders?

„Goethe!“ ist ein erstklassiges Musical aus deutscher Feder. Der Komponist des Musicals, Martin Lingnau, ist mit fünf Millionen Besucher:innen seiner vielfach ausgezeichneten Produkionen einer der erfolgreichsten Musiktheaterautoren und Komponisten Deutschlands. Die Liedtexte sind von Frank Ramond, der unter anderem auch für Udo Lindenberg, Yvonne Catterfeld, Christina Stürmer und Roger Cicero schrieb. Gil Mehmert, unser Regisseur, ist seit Sekunde eins des Entstehungsprozesses, mit seinem mitreißenden Glauben an dieses Stück, treibende Kraft. Die Bad Hersfelder Festspiele haben in diesen ungewissen Zeiten für Kunst und Kultur alles dafür getan, dass es „Goethe!“ auf die Bühne schafft. Wir sind voller Energie und das Publikum wird die volle Wucht unserer Freude abkriegen.

Welche Projekte stehen in Zukunft für dich an? Ich darf ab Herbst die Rolle der Ellen im Musical „Miss Saigon“ verkörpern. Ich freue mich sehr auf die Zeit im frisch renovierten Raimund Theater in Wien!