Im Gespräch mit Stephan Huber: „American Idiot war auch ein Wagnis.“

Moderne Musicals abseits vom Mainstream auf die deutschen Bühnen bringen – das ist das Ziel von Marina Pundt und Stephan Huber (Fotos: Sandra Kathe). Mit ihrem Frankfurter Start-up offMUSICAL setzen die jungen Produzenten auf zeitgemäße Stücke mit Substanz. Auf Teams aus renommierten Darstellern und Nachwuchstalenten. Und auf individuelle, gerne auch mal ausgefallene Orte.

Ein Konzept, das aufzugehen scheint. Die ersten beiden Produktionen „Hedwig and the angry inch“ und „American Idiot“ kamen gut an. So gut, dass auch „American Idiot“ jetzt auf Tour durch Deutschland geht. Grund genug, für einen Blick hinter die Kulissen und ein Gespräch mit Stephan Huber – über die Anfänge von offMUSICAL, seine Ansprüche an ein gutes Stück und notwendige Änderungen an der Tour-Version von American Idiot.

Im Sommer 2017 haben Marina Pundt und du offMUSICAL Frankfurt gegründet. Was hat den Ausschlag für diesen Schritt gegeben?

Marina und ich haben während unserer Studienzeiten das Onlinemagazin kulturpoebel gegründet, uns ein Musical nach dem anderen angeschaut und darüber berichtet. Wir haben gesehen, was für tolle Stücke in London und New York gezeigt werden – und was hier fehlt, wofür es keine Anbieter gibt. Das war unser Ansatzpunkt. So sind wir zur Produktion von Musicals gekommen. Mit dem Ziel, das Genre in Deutschland zu revolutionieren.

Das war für euch als absolute Newcomer in der Branche sicherlich ein Wagnis…

Stimmt. Es haben uns auch sehr viele Leute vor diesem Schritt gewarnt. Aber wir wollten es unbedingt versuchen. Wir hatten Kontakte zur Branche geknüpft. Und wir wollten zeitgemäßes Musiktheater zeigen. Stücke, die von der konzeptionellen und musikalischen Machart sehr modern sind. Mit Stories, an die man emotional anknüpfen kann. Mit Inszenierungen, die weniger auf Schauwert, sondern mehr auf Substanz setzen, auch inhaltlich.

Ich bin überzeugt, dass die Musicals, die bisher in New York und London sehr erfolgreich laufen, auch den deutschen Markt immer mehr prägen werden und dem entsprechen, was die Generation Netflix – so nenne ich sie jetzt mal – sehen möchte. Die Ansprüche an Unterhaltung haben sich einfach geändert. Aber noch leisten wir mit unserem Ansatz Pionierarbeit. Und natürlich ginge es auch einfacher: Wenn wir zum Beispiel „Evita“ machten, wo Webber drübersteht, statt Stücke zu inszenieren, die hier bis auf wenige Genre-Fans keiner kennt.

Ihr habt euch aber für „Hedwig and the angry inch“ und „American Idiot“ entschieden. Warum?

Beides sind unfassbar tolle Stücke. Als wir sie selbst in New York und London gesehen haben, waren wir geflasht. Das ist auch unser Anspruch für die Zukunft. Genau dieses Gefühl möchten wir bei unserem Publikum hervorrufen. Hinzu kommt: Hedwig hat sich als erstes Stück einfach sehr angeboten.

Inwiefern?

Es wurde in Deutschland zwar auch schonmal gespielt, war hier aber noch nicht so etabliert. Es ist auch ein Stück, das doch relativ klein ist. Zwei Darsteller, vier Bandmitglieder. Das ist perfekt, um zu starten und gleichzeitig künstlerisch ein Ausrufezeichen zu setzen. Denn Hedwig ist eines der dramaturgisch am klügsten aufgebauten Stücke, die ich kenne – und von vorne bis hinten genau das, was wir künstlerisch machen wollen. Dazu haben wir ein Team gefunden, das genauso für das Stück brennt, wie wir.

Und was hat bei „American Idiot“ den Ausschlag gegeben?

Ich habe bei einem Musical selten ein so einzigartiges Konzept erlebt. Das Stück fährt ein extrem hohes Tempo, reißt dich mit und macht sprachlos. Dabei hat die Story eine enorme Substanz und die Musik gehört mit ihrer Dichte an Showstoppern zum Besten, was das Genre zu bieten hat.

Das hat scheinbar auch Kritiker und Zuschauer überzeugt. Ab Ende August geht „American Idiot“ auf Tour. Habt ihr damit gerechnet?

Wir hatten natürlich gehofft, dass wir das Stück in die Welt tragen können. Aber gerechnet haben wir damit nicht. American Idiot ist ja jetzt auch nicht das Feelgood-Musical, bei dem man nichts falsch machen kann. Auch das war ein Wagnis. Unser Kreativteam hat da aber eine Inszenierung umgesetzt, die international ihresgleichen sucht. Einen solchen Look hatte weltweit noch keine Produktion von American Idiot. Ich denke, unser Team hat hier einen sehr zeitgemäßen Ansatz gefunden, der momentan auch bei Stücken wie „Hamilton“ oder „Dear Evan Hansen“ zu beobachten ist. Auch die Darsteller sind total in der Produktion aufgegangen und haben das Stück nie als reines Engagement, sondern auch als Herzenssache begriffen. Und es gab viele Leute, die gesagt haben: Das muss doch weitergehen. Das muss noch woanders gezeigt werden.

Tourstart ist am 30. August in Berlin. Wie laufen die Vorbereitungen aktuell?

Die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Berlin ist ja quasi ein vorgezogener Tour-Tryout. Dann folgen die Termine im Januar. Aktuell schauen wir, wie die Bedingungen im Admiralspalast sind und wie wir die Produktion auch auf dieser Bühne adaptieren können. Es wird in Berlin definitiv wieder einen Steg geben, der in den Zuschauerraum ragt. Auch nehmen wir die Kritikpunkte auf, die wir nach der Aufführungsserie in der Batschkapp gehört haben und gehen da noch einmal ran.

Welche Punkte sind das zum Beispiel?

In der Batschkapp wurde insbesondere der Ton diskutiert. Das lag natürlich auch ein bisschen an den Gegebenheiten. Die Akustik dort ist nicht für Musicals ausgelegt. Im Admiralspalast finden wir ganz andere Bedingungen vor und können tontechnisch nochmal nachlegen.

Die Batschkapp war eine ausgefallene Location, die Bühnen der Tour sind weitaus „klassischer“ und auch größer. Wie wirkt sich das auf die Inszenierung aus?

Generell wird Berlin das letzte Gastspiel sein, bei dem alles genauso ist wie in Frankfurt. Für die Tour werden wir aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen umdenken müssen. Dabei werden wir aber nicht von unserem Konzept abkommen. Wir entwickeln eine Strategie, wie wir das Erlebnis auch weiterhin zum Publikum hintragen können. Im Januar werden wir dann mit Kreativteam und Darstellern zusammensetzen und die Änderungen zur Bühnenreife bringen.. Welche Änderungen es im Detail geben wird, kann ich noch nicht sagen. Das Kreativteam ist gerade in der Ideenfindung und Entwicklungsphase.

Kommt der gesamte Premieren-Cast mit auf Tour oder wird es auch hier Änderungen geben?

Das steht noch nicht fest. Hier laufen gerade die letzten Verhandlungen.

Welche Stücke werden von offMUSICAL im nächsten Jahr zu sehen sein?

Das wird leider erst im September / Oktober offziell. Fest steht: Wir werden uns weiter so aufstellen, dass wir nicht die 30. Inszenierung von etwas machen, das sowieso schon landauf, landab läuft. Aber wir gehen auch den nächsten Schritt und werden in Zukunft selber Stücke entwickeln. Es ist so wichtig, zu zeigen, , dass auch in Deutschland diese Form von innovativem Musiktheater möglich ist. Es gibt hier so viele Kreative, die unfassbar talentiert sind, für ihre Ideen brennen und nur darauf warten, hierfür eine Bühne zu bekommen. Und die möchten wir ihnen bieten.

 

Weitere Infos zu offMUSICAL und den Produktionen gibt es unter www.offmusical.de

Copyright Szenenfotos: Agnes Wiener/ Niklas Wagner