Magischer Bühnenzauber: Die Eiskönigin in Hamburg

Lange waren die Tore des Stage Theaters an der Elbe geschlossen – wie die Türen des Palasts von Arendelle in „Die Eiskönigin“, einem der erfolgreichsten Animationsfilme aller Zeiten. Mit der lang erwarteten deutschsprachigen Premiere der Bühnenversion dieses Disneyerfolgs erwachte das Haus wieder zu Leben. Und wie die Bewohner:innen des fiktiven Königreichs ins Schloss, strömten am Montagabend 1.200 Premierengäste in das Hamburger Theater und erlebten einen Musicalabend voller Disneyzauber und Bühnenmagie.

Ein Kinohit für die Bühne

Einen Animationsfilm von der Leinwand auf die Bühne zu bringen, ist an sich schon eine Herausforderung. Einen Kinohit, der weltweit Millionen Menschen begeistert hat, so in die Theaterwelt zu übertragen, dass die hohen Erwartungen erfüllt statt enttäuscht werden, ist wohl die Königsdisziplin. Dass Disney Theatrical Productions diese Disziplin bestens beherrscht, zeigen frühere Produktionen wie „Tarzan“ oder „König der Löwen“ – ein Musical, das schließlich mehr als 20 Jahre im Hamburger Hafen gefeiert wird. In direkter Nachbarschaft soll jetzt „Die Eiskönigin“ an diesen Erfolg anknüpfen. Und die Vorzeichen stehen gut: Die Geschichte der Prinzessin Anna und ihrer Schwester Elsa, die alles, was sie berührt in Eis verwandelt, weiß auch auf der Bühne zu überzeugen – mit einer begeisternden Cast, detailreichen Kostümen, ideenreichen Choreographien und beeindruckender Bühnentechnik.

Bühnentechnik verzaubert

Ein großes mit Ornamenten geschmücktes Holzportal umrahmt die Bühne (Bühnenbild: Christopher Oram), in deren Zentrum eine mit 4,5 Millionen LEDs versehene Videoleinwand steht, die Nordlichter tanzen und Schneeflocken wirbeln lässt (Videos: Finn Ross; Special Effects: Jeremy Chernick). Bewegliche Säulen und Wandelemente, geschwungene Dächer und große Tore gleiten herein oder von der Decke herab und machen flüssige Szenenwechsel möglich. Sie bilden mal das Schlafzimmer der Prinzessinnen, mal den Ballsaal oder einen blühenden Schlossgarten und werden – ebenso wie der Bühnenboden – immer wieder selbst zur Projektionsfläche.

Die aufwändige Technik entfaltet eine besonders eindrucksvolle Wirkung, als Elsa mit ihrer eisigen Gabe das Königreich in eine Eislandschaft verwandelt oder ihren Eispalast entstehen lässt. Wenn Eiskristalle die hölzernen Säulen einfrieren, meterhohe Eisspitzen in den Bühnenraum hereinragen oder sich beim oscarprämierten Song „Lass jetzt los“ glitzernde Vorhänge aus tausenden Eisdiamanten herabsenken ist das Bühnenmagie pur, bei der ein Raunen durch das Publikum geht, zu Recht begleitet von Jubel und Zwischenapplaus.

Die Geschichte zweier Schwestern

Den erntet auch die durchweg starke Darstellerriege immer wieder – allen voran Celena Pieper als Anna und Sabrina Weckerlin als Eiskönigin Elsa. Die beiden Hauptdarstellerinnen harmonieren darstellerisch und gesanglich perfekt. Sie erzählen die Geschichte der beiden Schwestern, die so unterschiedlich und doch so eng miteinander verbunden sind, mit viel Gefühl und leisen Zwischentönen, die auch in kleinen, nuancierten Gesten zum Ausdruck kommen. Besonders berührend gelingt das, als die beiden Schwestern sich in dem Duett „Du bist alles“ – einem von zwölf neuen Songs die Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez für die Musicalversion komponierten – trotz aller Unterschiede und Unwägbarkeiten ihre Verbundenheit versichern.

Starke Hauptdarstellerinnen

In ihrer ersten großen Hauptrolle überzeugt Celena Pieper auf ganzer Linie. Sie gibt die quirlige, liebenswerte und willensstarke jüngere Schwester sehr natürlich mit der richtigen Balance zwischen Komik und Ernsthaftigkeit. Ihre Anna ist nie zu überdreht und in ihrer manchmal durchscheinenden Naivität ebenso authentisch wie in ihrem festen Glauben an Elsa, für die sie ihr Leben riskiert. Auch gesanglich nimmt die Darstellerin mit warmer, sicher geführter Stimme für sich ein.

Sabrina Weckerlin glänzt als Eiskönigin Elsa mit dem Eispalast um die Wette. Sie lebt diese Rolle, die sie selbst als ikonisch beschreibt und füllt die großen Fußstapfen von Idina Menzel und Willemijn Verkaik, die als Interpretinnen der englischen und deutschen Filmsongs bekannt sind, scheinbar mühelos aus. Mit ihrer Darbietung von „Lass jetzt los“ interpretiert sie den persönlichen Befreiungsschlag der zur Selbstkontrolle gezwungenen Elsa voller Zartheit und zugleich voller (Stimm-)Power und zeichnet im Song „Monster“ die innerliche Zerrissenheit ihrer Figur berührend und eindringlich nach.

Ein Schneemann als heimlicher Star

Mit neuen, eigenen Songs bekommen auch die männlichen Charaktere Kristoff und Prinz Hans mehr Tiefe, ihre Entwicklung im Laufe des Stücks wird nachvollziehbarer. So lässt das Solo „Hans aus dem Süden“ schon vermuten, dass hinter dem einnehmenden Charme von Prinz Hans intriganter Ehrgeiz stecken mag.  Milan van Waardenburg spielt den scheinbar fürsorglichen, jedoch gefühlskalten Kurzzeit-Verlobten von Prinzessin Anna mit einnehmender Präsenz. Ihre wahre Liebe findet diese schließlich in Kristoff, den Benet Monteiro als sympathischen, ehrlichen Einzelgänger gibt, der das Herz am richtigen Fleck und in Rentier Sven (Antoine D. Banks-Sullivan) einen treuen  Begleiter hat.

Wie schon im Film ist auch in der Bühnenversion Olaf der heimliche Star. Den warmherzigen, herzensguten Schneemann erweckt Elindo Avestia mit Stimme und Spiel zum Leben. Als Puppenspieler lenkt er den Fokus gekonnt auf die Schneemann-Figur, die er vor sich herführt, singt und tanzt sich bei „Im Sommer“ voller Elan und Witz durch eine sonnige Postkartenidylle und sorgt dafür, dass sich niemand im Zuschauersaal dem Charme Olafs entziehen kann.

Neue Songs für die Musicalversion

Der Inszenierung von Michael Grandage gelingt es, die Filmvorlage stimmig auf die Bühne zu bringen und flüssig voranzutreiben. Dazu trägt sicherlich die Entscheidung bei, auf kleinere Nebenhandlungen aus dem Film zu verzichten und sich stattdessen stärker auf die Charakterzeichung der Figuren zu konzentrieren. Die insgesamt 20 Songs sind eine gelungene Mischung aus temporeichen Nummern, gefühlvollen Duetten und kraftvollen Soli. Auch die neuen Kompositionen fügen sich größtenteils gut und ohne auffällige Brüche in die vielfach ausgezeichnete Filmmusik ein und werden von neun Musiker:innen (Dirigent: Aday Rodriguez Toledo) mit viel Drive gespielt – auch wenn ein großes Orchester bei einer solch´ aufwändigen Produktion schon mehr als wünschenswert wäre.

Ebenso wie die fabelhaften Choreographien von Rob Ashford, die für mitreißende Ensembleszenen sorgen, sind die mit Liebe zum Detail gefertigten Kostüme (Christoph Oram) besonders erwähnenswert.  Sie fügen sich – mal als farbenfrohe Trachten, mal als königlich-elegante Roben oder schneeweiß-funktionale Winterkleidung –  in die königlich-magische Eiswelt ein und bekommen beim finalen Schneesturm zudem eine ganz zentrale Funktion.

Auf dem Weg zum neuen Musicalhit an der Elbe

Als nach der etwa 2,5-stündigen Aufführung der Sommer nach Arendelle zurückkehrt, hält das Premierenpublikum nichts mehr auf den Stühlen und nicht nur die Augen der kleinen Zuschauer im Saal strahlen. Wenn es nach dem Jubel am Premierenabend geht, hat „Die Eiskönigin“ gute Chancen, sich als neuer Musicalhit an der Elbe zu etablieren und dem direkten Nachbarn in Sachen Erfolg nachzueifern. Die Weichen dazu wurden mit dieser zauberhaften Inszenierung auf jeden Fall gestellt.