„Die Relevanz des Theaters wird nicht wirklich anerkannt.“

Im Gespräch mit Schauspieler und Musicaldarsteller Andreas Lichtenberger

42nd Street. Der Mann von La Mancha. Die Schatzinsel. Anatevka. Tarzan. Mamma Mia. Hairspray. Und bald auch Wicked: Schauspieler und Musicaldarsteller Andreas Lichtenberger hat bereits zahlreiche Rollen in zahlreichen Produktionen gespielt und ist von den deutschsprachigen Musicalbühnen nicht mehr wegzudenken. Wenn sich der Vorhang zur Neuinszenierung des Stephen-Schwartz-Musicals in Hamburg hebt, kommt nun auch die Rolle des Zauberers von Oz hinzu. Im Interview mit Theaterliebe hat der Wahl-Wiener über Herausforderungen gesprochen, die diese Rolle, eine Neuinszenierung, Proben in Pandemie-Zeiten und geschlossene Theater mit sich bringen.

Du stehst seit 25 Jahren auf der Bühne, kennst die Theater- und Musicalbranche und hast schon viele große Rollen gespielt. Doch die vergangenen anderthalb Jahre waren für dich sicherlich auch eine absolute Ausnahme…

Natürlich. So eine Situation gab es noch für niemanden. Aber ich konnte die Zeit in einem glücklicheren Zustand erleben als viele andere Kollegen. Ich habe vor Corona viel spielen dürfen, konnte etwas zur Seite legen. Das lernt man in unserem Beruf schnell. Wir leben ja immer irgendwo zwischen Eigentumswohnung und Hartz IV. Also habe ich gespart, so gut es ging. Und ich hatte das Glück, dass es ganz gut ging. Aber während andere für das eigene Haus oder den Südseeurlaub sparen, mussten viele von uns mit dem Ersparten unser Leben im vergangenen Jahr sichern. Denn unsere Berufssparte ist zu großen Teilen tatsächlich durchs Rost gefallen.

In „Kiss me, Kate“ stand Andreas Lichtenberger 2020 auf der Bühne. Die Produktion der Volksoper Wien wird im Frühjahr 2022 wieder aufgenommen. Foto: Volksoper Wien

Was fehlt der Branche deiner Einschätzung nach?

Ganz klar: die Lobby. Das Theater besteht aus vielen verschiedenen Modellen, die nicht wirklich miteinander verknüpft sind. Es gibt keine Gewerkschaft. Und: Die Relevanz des Theaters wird nicht wirklich anerkannt. Dabei hat die Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2019 einen Umsatz von 174,1 Milliarden Euro erwirtschaftet und lag mit ihrer Bruttowertschöpfung direkt hinter dem Fahrzeug- und Maschinenbau. Aber während Theater im Herbst wieder geschlossen wurden, sind die Flugzeuge weitergeflogen – ohne die Verpflichtung, Plätze in den Reihen frei zu lassen. Die waren voll.

Dabei hatten viele Theater und Bühnen in Sicherheits- und Hygiene-Konzepte investiert…

Absolut. Ich hatte das Glück, im September und Oktober in Wien an der Volksoper „Kiss me, Kate“ zu spielen. Dort gab es ein funktionierendes Konzept. Mit personalisierten Karten. Einlasskontrollen. Abstand. Maskenpflicht. Es gab keinen nachgewiesenen Corona-Fall. Trotzdem durften wir nicht weiterspielen. Das war sehr frustrierend.

Was aber wirklich weh getan hat, waren viele Kommentare und Reaktionen, wenn über die Situation von uns Darsteller:innen gesprochen wurde. „Die Gaukler sollen nicht heulen“, lieber „was Anständiges lernen“, zum Beispiel. Aber: Was wir machen, ist Arbeit. Wir sind Malocher. Wir arbeiten zu Zeiten, wo jeder Schichtarbeiter weiß, was das bedeutet. Wenn die anderen ausgehen und sich amüsieren, gehen wir zur Arbeit und sorgen dafür, dass alle gut unterhalten werden! Natürlich machen wir diesen Beruf, weil wir ihn lieben. Es ist ein Privileg, damit unser Geld verdienen zu dürfen. Aber ehrlich gesagt: Wir leisten was und verzichten auf einiges. Dann despektierliche, wirklich anfeindende Kommentare zu hören – das haben wir einfach nicht verdient.

Bald geht es ja für dich wieder auf die Bühne. In der Neuinszenierung von Wicked spielst du den Zauberer. Die ersten Proben sind gelaufen. Wie war die Rückkehr ins Theaterleben?

 Während der Lockdown-Zeiten habe ich meinen Job sehr vermisst. Meine Projekte hießen Renovieren, Garten, Steuererklärung. Künstlerisch bin ich eher nicht in Erscheinung getreten. Das berühmte Wohnzimmerkonzert, das Streaming, kam für mich nicht in Frage. Ich bin ein schlechter Einzelkämpfer. Das fängt schon beim Sport an. Ich spiele gern Volleyball. Oder Fußball mit der Amateur-Fußballmannschaft des ruhmreichen FC Wojtyla. Ich war also schon immer ein Team-Mensch. Und so geht es mir auch im Theater. Ich habe Solo-Abende gemacht – es aber nicht geliebt. Mir geht es um das Gesamterlebnis, um die Kolleg:innen, das Zusammenspiel aller Gewerke von Bühne über die Technik bis hin zur  Verwaltung. Um das Feeling Theater. Und das wieder erleben zu können – wenn auch unter strengen Hygienevorschriften – das war wunderbar.

Als Kerchak in „Tarzan“ stand Andreas Lichtenberger in der Neuen Flora auf der Bühne. Jetzt kehrt er als Zauberer von Oz in das Theater zurück. Foto: Dani Dunkel

Unter welchen Bedingungen konnten und können Proben stattfinden?

Damit wir überhaupt proben dürfen, machen wir sechs Mal die Woche einen Selbsttest. Zweimal die Woche einen PCR-Test. Im Haus tragen wir immer Masken. Trotz Testungen. Auch beim Singen und Tanzen. Nach den ersten zwei Wochen haben wir einen Durchlauf gemacht. Da durften wir zum ersten Mal auf der Bühne die Masken abziehen. Man hat das Gesicht mancher Kolleg:innen zum ersten Mal gesehen. Dieser erste Durchlauf war hochemotional. Natürlich wegen der Situation. Wir hatten das Gefühl „Wir sind wieder da.“ Aber auch wegen des Stücks. Wir durften erleben, in was für einer wunderbaren Geschichte wir sind.

Die Hamburger Wicked-Produktion ist eine Neuinszenierung. Was erwartet die Zuschauer:innen?

In diesem Jahr ist das Musical Wicked 18 Jahre alt geworden. Und zur Volljährigkeit schenken wir der Show ein neues Outfit. Ich kenne die Original-Inszenierung aus Stuttgart, London und New York und kann mit Fug und Recht sagen: Vergleiche sind unmöglich. Es ist weitestgehend derselbe Text, es sind weitestgehend dieselben Melodien. Es ist die gleiche Geschichte, aber ein anderes Stück. Mit neuen Erzählansätzen, einer überraschenden Bühnentechnik und modernen Choreographien. Ich finde, es ist möglich, die neue Fassung von Wicked zu mögen und zu lieben, ohne die alte in irgendeiner Form verraten zu müssen.

Was sind die Herausforderungen einer Neuinszenierung?

Ganz klar: Wicked ist eine Erfolgsproduktion. Die liegt fest verankert in der Erinnerung und den Herzen derer, die es gesehen haben und die es lieben. Und es ist natürlich eine Herausforderung, sich diesen großen Erinnerungen zu stellen. Darum hoffe ich für uns, dass sich alle, die Wicked schon gesehen haben und zu uns ins Theater kommen, unvoreingenommen darauf einlassen.

Diese Neuinszenierung bietet dir auch die Chance, die Rolle des Zauberers neu zu kreieren…

Absolut. Im Buch „Der Zauberer von Oz“ heißt es: Der Zauberer war ein guter Mann, aber ein schlechter Zauberer. Das ist bei uns anders. Der Zauberer ist kein guter Mann. Er ist nicht nett. Er ist berechnend. Aber er hat Charme. Und das macht berechnende Menschen gefährlich. Der Zauberer in unserer Inszenierung ist ein „Faker“. Er nutzt Fake News, um sein Volk unter Kontrolle zu halten. Er ist ein Machtmensch, der seine Macht erhalten und geliebt werden will.

Was magst du an dieser Rolle besonders?

Ich spiele eine umfassende Entwicklung – von der Hybris bis zur totalen Zerstörung. Und das ist einer Bühnenzeit von rund 24 Minuten. Das ist eine Herausforderung. Die kommt einem spielerischen Typen aber total entgegen. Ich liebe das. Und für die Darstellung des Zusammenbruchs dieses Machtmenschen habe ich vielleicht zehn Sekunden. Da bricht ein Leben in zehn Sekunden zusammen. Vom großen Zauberer von Oz bis zum am Boden liegenden, gebrochenen Mann. Ein kurzer Moment, der so viel sagt! Danke Theater, dass es solche Rollen gibt.

Sind es diese Entwicklungen einer Figur, die deine Entscheidung bei der Rollenwahl beeinflussen?

Es sind die Entwicklungsbögen, die ich liebe. Ich mag keine eindimensionalen Figuren. Das Musiktheater, das ich bisher spielen durfte – da war nichts Eindimensionales dabei. Es liegt natürlich immer auch daran, was du mit dem Regisseur daraus machst. Meine Figuren durften immer viel durchmachen – ob Edna in „Hairspray“ oder Shrek, Tewje in „Anatevka“ oder Albin in „La Cage aux Folles“.

Seine Figuren „durften immer viel durchmachen“, sagt Andreas Lichtenberger, hier als Albin in „La Cage aus Folles“. Foto: www.AndreasLander.de

Welche Projekte stehen für dich in Zukunft noch an?

Wir werden „Kiss me, Kate“ in Wien wieder aufnehmen. Im Februar / März 2022 wird es Vorstellungen geben. Vieles ist aber immer noch in der Schwebe und ich kann noch nicht mehr dazu sagen. Erstmal gilt meine komplette Kraft dem Zauberer und unserem Neustart in Hamburg. Aber ich habe eine Heidenangst, dass das wieder in die Hose geht. Bei jedem Filmbericht vom Flughafen, wenn alle in die Welt fliegen, rutscht mir das Herz in die Hose. Darum: Bitte Leute, seid vorsichtig! Ich möchte euch so gerne im Theater wiedersehen.

 

Die Neu-Inszenierung von Wicked feiert Anfang September in Hamburg Premiere. Weitere Infos gibt es hier.

In „Kiss me, Kate“ ist Andreas Lichtenberger ab Februar 2022 wieder an der Volksoper Wien zu sehen. Tickets und Infos.