Dortmunder West Side Story setzt Maßstäbe

Nach Romeo und Julia ist es wohl eines der berühmtesten tragischen Liebespaare: Die Geschichte von Maria und Tony der 1957 uraufgeführten West Side Story wurde schon unzählige Male erzählt. Eine eindringliche Inszenierung des Musicals, das nichts an seiner Brisanz verloren hat und in der heutigen Zeit erschreckend aktuell wirkt, zeigt das Theater Dortmund. Das Team um Regisseur Gil Mehmert und ein begeisterndes Ensemble bringen eine West Side Story auf die Bühne, die Maßstäbe setzt. Das Premierenpublikum steht und jubelt, kaum dass der letzte Ton verklungen ist.

Beeindruckendes Bühnenbild

Es ist ein schöner Traum. Zu schön, um wahr zu sein:  Ein Ort, an dem alle friedlich zusammenleben können, die Jets und die Sharks. Irgendwo. Doch in der Enge der New Yorker West Side hat dieser Traum keinen Platz. Hier kommt keiner raus. Von der Sehnsucht, auszubrechen und wegzukommen, erzählt in dem beeindruckenden Bühnenbild von Jens Kilian nur ein riesiges Werbeplakat für Autoreifen mit einer Straße, die ins (N)Irgendwo führt.

Die Wirklichkeit findet zwischen den Zapfsäulen einer Tankstelle, den  heruntergekommenen Backsteingebäuden mit flackernden Leuchtreklamen, ausgebrannten Autowracks und leeren Ölfässern statt. Hier kämpfen die amerikanischen Jugendlichen – die „Einheimischen“ – gegen die Zugewanderten aus Puerto Rico um die Vorherrschaft im sozialen Brennpunktviertel. Dabei geraten Maria und Tony zwischen die Fronten. Ihre Liebe lässt die beiden unschuldig von einer gemeinsamen Zukunft träumen und feuert gleichzeitig den Hass weiter an – bis es zum scheinbar unausweichlichen, tragischen Ende kommt.

 Neue Akzente und berührende Momente

Für die szenische Umsetzung des beliebten Musical-Klassikers hat Leonard Bernstein, beziehungsweise haben seine Erben strenge Richtlinien vorgegeben. Regisseur Gil Mehmert gelingt es innerhalb dieses Rahmens dennoch immer wieder, neue Akzente zu setzen und berührende Momente zu schaffen, die der Inszenierung – eine Koproduktion mit dem Theater Magdeburg – einen sehr individuellen Charakter verleihen: vom zauberhaft-ungläubligen ersten Kennenlernen der jungen Liebenden beim Tanzabend bis hin zur Traumsequenz zu „Somewhere“, gefühlvoll und einprägsam gesungen von Esther Conter als Anybody´s. Selbst dieser Traum vom gegenseitigen Verzeihen und Verstehen wird von der grauen Realität eingeholt. Die bunten Ballons steigen nicht in den Himmel sondern zerplatzen Pistolenschüssen gleich.

Starke Ausstrahlung

Auch die Liebe von Maria und Tony geht in dieser Wirklichkeit unter. Iréna Flury und Anton Zetterholm (Fotos: Anke Sundermeier) berühren als junges Paar. Ihr Spiel ist natürlich und authentisch – von der großen Verliebtheit bis hin zur tiefen Verzweiflung. Dorina Garuci gibt Anita, die Freundin von Sharks-Chef Bernado, mit großartiger Stimme und starker Ausstrahlung. Sascha Luder als Bernado und Markus Schneider als Riff überzeugen als verblendete Gang-Anführer und Gegenspieler.

Mitreißend und engagiert spielt jeder Einzelne der Darstellerriege – wohl eine der größten, die je in Dortmund zu sehen war. Wenn die Cast als Gangmitglieder beim „Dance at the Gym“ gegeneinander antanzt, wird auch der Tanz zum Kampf. Die ausdrucksstarken, treibenden Choreographien von Jonathan Huor transportieren die Aggressivität, Wut und Hoffnungslosigkeit der Protagonisten, lassen Kulturen aufeinanderprallen. Vereint werden die unterschiedlichen Welten in der Musik von Leonard Bernstein. Die bekannten Melodien im satten Klang der Dortmunder Philharmoniker (Musikalische Leitung Philipp Armbruster) zu hören, ist ein weiterer, krönender Genuss, den diese Inszenierung für die Zuschauer bereit hält.

Weitere Infos und Termine zur West Side Story in Dortmund gibt es hier.