Eindringlich und sehenswert: Carrie in Hamburg

Das Musical „Carrie“ gilt als einer der größten Broadway-Flops aller Zeiten. Die Bühnen-Adaption von Stephen Kings gleichnamigem Roman wurde nur kurze Zeit nach der Uraufführung wieder abgesetzt. In Hamburg ist das Stück jetzt im First Stage Theater zu sehen. „Ein kleines Risiko“ sei man mit der Stückwahl schon eingegangen, sagte Produzent Thomas Gehle am Premierenabend. Ein Risiko aber, dass sich zumindest künstlerisch gelohnt hat: Die Absolventinnen und Absolventen der Hamburger Stage School glänzen mit der versierten Musical-Darstellerin Maya Hakvoort an ihrer Seite in einer starken Inszenierung (Regie: Felix Löwy) des Stücks, das mit einer eindringlichen Story und rockig-poppiger Musik zu überzeugen weiß und eine sehenswerte Ergänzung zum Musical-Mainstream bietet.

Eine Nacht, die keiner vergisst

Verhörszenen bilden den roten Faden der Geschichte über die Highschool-Schülerin Carrie, die  – von ihrer fanatisch-religiösen Mutter streng erzogen und ihren Schulkameraden aufs Übelste gemobbt – ihre Rachefantasien mit telekinetischen Fähigkeiten Wirklichkeit werden lässt. In gleißendes Licht getaucht, erinnert sich Mitschülerin Susan Snell (Larissa Pyne) an das tragische Ende des Abschlussballs – und lässt die Ereignisse wieder aufleben, die zu einer Nacht geführt haben, „die keiner vergisst“.

Großartiges Bühnenbild

In dem kleinen First Stage Theater spielen sich diese Szenen in einem großartigen Set Design ab. Riesige Bretterwände aus zerbostenen, zertrümmerten Verschlägen und Holzdielen rahmen die Bühne ein. Einzelne, bewegliche Kulissenteile ermöglichen schnelle Orts- und Szenenwechsel und lassen Bibliothek, Klassenraum, Sportumkleide oder Carries Zuhause entstehen. Dank wirkungsvoller Spezialeffekte werden Carries telekinetischen Fähigkeiten anschaulich lebendig. Und das ausgeklügelte Lichtdesign von Felix Wienbürger schafft atmosphärisch dichte, den Situationen entsprechende Stimmungen. So gelingt es auch, den hölzernen „Trümmerhaufen“ des Bühnenbilds zum Abschlussball mit zahlreichen kleinen Lichtern in eine – zunächst – romantische Szenerie zu verwandeln.

Bemerkenswertes Zusammenspiel

Wandlungsfähigkeit auf der Bühne beweist Lorena Dehmelt in der Rolle der Carrie. Sie zeigt die Entwicklung vom unsicheren, einsamen Mädchen zur hoffnungsvollen, selbstsicherer werdenden jungen Frau bis hin zum wütend-verzweifelten Racheengel darstellerisch überzeugend. Jede kleinste Regung, ihre Verletzung, Verzweiflung und noch so kleine Hoffnung, doch akzeptiert zu werden, macht sie spürbar. Besonders bemerkenswert gelingt das Zusammenspiel mit Maya Hakvoort, die ein eindringliches Porträt von Carries verblendeter, streng gläubiger Mutter zeichnet. Die intensiven Mutter-Tochter-Szenen zählen zu den Höhepunkten der Inszenierung.

Eine Inszenierung, die so schnell keiner vergisst

Stark sind auch die übrigen Rollen besetzt: Larissa Pyne ist eine gefühlvolle, nachdenkliche Susan Snell, die es gut meint und am Ende doch verzweifelt vor den Trümmern ihres Plans steht. Tim Taucher als Tommy Ross gefällt mit ausdrucksstarker, warmer Stimme. Alexandra Nikolina und Nils Marckwardt überzeugen als intrigantes, aufwiegelndes Pärchen Chris Hargensen und Billy Nolan. Ebenso wie die darstellerischen und gesanglichen Leistungen des gesamten Ensembles bleiben auch die schwungvollen Choreographien von Phillip Kempster sowie die mitreißenden, starken Songs des Stücks in Erinnerung. Dieses ist  – anders als die Plakate vielleicht vermuten lassen – kein Horroschocker. Aber bestimmt auch kein Spaß-Musical. „Carrie“ am First Stage Theater bewegt und berührt – und ist sicherlich eine Inszenierung, die man so schnell nicht vergisst.

„Carrie“ ist noch bis zum 15. Juli 2019 im First StageTheater zu sehen. Weitere Informationen und Karten gibt es hier.