Im Gespräch mit Gino Emnes: „Ragtime war für mich ein Riesengeschenk.“

Von den Musicalbühnen in Deutschland ist Gino Emnes nicht mehr wegzudenken. Seit seinem Debüt als Simba in „König der Löwen“ war der Niederländer in zahlreichen Produktionen wie „Rocky“, „Kinky Boots“ oder „Sister Act“ zu sehen. Aktuell spielt er den Ehemann von Pop-Ikone Tina Turner im Stage Operettenhaus in Hamburg und ist als Martin Luther King mit dem gleichnamigen Chormusical auf Tournee. Im Interview mit Theaterliebe spricht Gino Emnes über prägende Rollen, besondere Herausforderungen und die Veränderungen in der Musicalbranche.

Mittlerweile hast du viele große Rollen gespielt, die sehr unterschiedlich waren – von Simba in König der Löwen über Lola in Kinky Boots bis hin zu Judas in Jesus Christ Superstar. Suchst du diese Vielfältigkeit bewusst?

Nein, das kann ich so nicht sagen. Das waren keine bewussten Entscheidungen. Es ist so gekommen und dafür bin ich sehr dankbar. Die Produzenten und Regisseure, die mir eine Rolle anbieten, haben Vertrauen in mich gehabt. Sie waren sicher, dass ich das kann und schaffe.
Und mittlerweile, nachdem ich so viele Rollen gespielt habe, lasse ich mich selbst leichter darauf ein. Auch auf Rollen, in denen ich mich persönlich gar nicht unbedingt sehe. Vor zehn Jahren habe ich vielleicht noch gedacht: Das mache ich nie im Leben. Mittlerweile sag ich mir: Klar. Mache ich. Ich sehe das als Herausforderung, die ich annehme.

Wie gehst du an eine Rolle heran und erarbeitest dir diese?

Bei mir ist das sehr stark von der Rolle abhängig. Davon, was für ein Stück es ist und wie der Regisseur arbeitet. Aber am Anfang bedeutet es natürlich immer: Texte lernen und mich ein wenig einlesen. Ich bin aber kein Typ, der schon in der Vorbereitung unfassbar viel in die Tiefe geht. Ich brauche Platz, für das, was der Regisseur von mir möchte. Und wenn ich die Richtung kenne, arbeite und feile ich weiter daran.

Aktuell stehst du als Ike Turner auf der Bühne und bist Martin Luther King im gleichnamigen Chormusical. Ist es eine besondere Herausforderung, einen realen Charakter zu verkörpern?

Es ist interessant. Vor allem, weil das Publikum eine bestimmte Erwartungshaltung hat, zum Beispiel wenn es um gewisse Charakterzüge geht. Mir ist es dann einfach wichtig, die Geschichte dieser Figur erzählen. Warum sie so war oder gehandelt hat. Und wenn das Skript gut ist und die Texte auch, muss man da eigentlich nicht mehr viel machen.

Diese beiden Charaktere sind natürlich auch sehr unterschiedlich, ebenso wie die Produktionen…

Das stimmt. Hinzu kommt: Als Ike Turner spiele ich Szenen, die wirklich so passiert sind. Da gibt es eine sehr klare Vorgabe, eine klare Linie. Bei Martin Luther King geht es für mich als Darsteller eher darum, eine gewisse Ausstrahlung zu haben. Wir zeigen historische Ereignisse der damaligen Zeit. Aber es gibt auch Szenen, die nicht unbedingt in dieser Form stattgefunden haben.
Mir ist die Aussage dieses Stücks wichtig. Ich möchte, dass die Menschen nach Hause gehen und einen wunderschönen Abend hatten. Aber ich möchte auch, dass sie nachdenklich werden. Und sehen: Diskriminierung gab es damals. Und es gibt sie auch heute noch – egal, ob es um Hautfarbe, Glauben oder Sexualität geht. Dabei sollten wir das Anderssein feiern und nicht als trennend empfinden. Das lässt sich mit einer Produktion wie Martin Luther King gut vermitteln.

Du hast im Laufe deiner Karriere schon viele Rollen geprägt. Jetzt einmal andersherum: Welcher dieser Charaktere hat dich persönlich am meisten geprägt?

Für mich war es ein Riesengeschenk im letzten Jahr in Linz Coalhouse Walker Jr. in Ragtime spielen zu können. Diese Show, dieses Musical und die Geschichte sind so unfassbar tief und schön – das ist für mich was Besonderes gewesen.
Lola in Kinky Boots bedeutete für mich aus verschiedenen Gründen eine Herausforderung. Unter anderem, weil ich persönlich dieses Gefühl, sich als Mann in Frauenklamotten stärker zu fühlen, nicht kenne. Hinzu kam, dass viele – ob aus der Branche oder Musicalgänger – mich nicht unbedingt in dieser Rolle erwartet haben. Das hat natürlich einen gewissen Druck erzeugt. Ich musste wirklich lernen, loszulassen und mich nicht mehr damit zu beschäftigen, anderen etwas beweisen zu müssen – sondern stattdessen einfach diese Rolle in mir zu finden.

Kinky Boots war in Hamburg kommerziell nicht der erhoffte Erfolg. Aber die Stimmen aus dem Publikum waren begeistert…

Ich bin von dem Stück überzeugt. Kinky Boots steht ja auch für so viel. Und das ist mir persönlich wichtig. Es geht um Toleranz. Dabei geht es nicht allein darum, dass Lola eine Dragqueen ist. Die Show erzählt von zwei Männern aus zwei völlig unterschiedlichen Welten, die lernen, miteinander umzugehen – und merken: Wir sind gar nicht so anders. Sie beide streben ja auch nach der Anerkennung und Liebe ihrer Väter. Und in dem Song „Nicht dieser Sohn“ kommt alles zusammen. Wenn ich jetzt darüber spreche, bekomme ich wieder einer Gänsehaut. Für mich geht es in Kinky Boots generell einfach darum, akzeptiert zu werden – so wie man ist.

Beides – Lola und Coalhouse – sind Rollen, durch die ich auch viel über mich gelernt habe, über meine Unsicherheiten oder auch über Vorurteile, die ich selbst habe. Produktionen wie Kinky Boots oder auch Ragtime haben mich wirklich geprägt.

 

Nach fast 20 Jahren in der deutschen Musicallandschaft: Wie hat sich die Branche in dieser Zeit verändert?

Es gibt viele neue Shows, die Auswahl ist groß geworden. Dabei ist es schwieriger, die Zuschauer in die Theater und Shows zu bekommen. Man merkt, dass die Produzenten schneller Erfolg haben wollen und müssen. Dabei bleibt manchmal leider die Qualität auf der Strecke. Oder man setzt oft auf Altbewährtes. Macht mal wieder Mamma Mia. Cats. Das Phantom. Oder Tanz der Vampire. Manchmal denke ich, dass das Publikum auch ein wenig dazu „erzogen“ wird, es sich leicht zu machen. Aber um neue Stücke erfolgreich zu zeigen, braucht man natürlich auch Zuschauer, die sich auf diese Stoffe einlassen.

Du warst Teil der Musical Revolution in Frankfurt. Gibt es Musicals, die hier – noch – nicht gezeigt werden, in denen du aber gerne auf der Bühne stehen würdest?
Es ist nichts Neues, aber „Once on this Island“ ist eine kleine, süße Produktion, die ich mag. Natürlich gibt es auch viele gute neue Stücke. Hamilton zum Beispiel. Oder Dear Evan Hanson. Aber es ist nicht so, dass ich sage, ich muss unbedingt eine bestimmte Rolle spielen. Nein. Es kommt einfach, wie es kommt.

Du hast eine eigene CD aufgenommen. Obwohl du kein Muttersprachler bist, singst du den Großteil der Lieder auf Deutsch. Was hat dich dazu bewogen?

Das ist eigentlich ganz einfach. Ich bin zwar kein Muttersprachler, lebe aber hier in Deutschland. Englisch ist auch nicht meine Muttersprache. Niederländisch würde hier in Deutschland nicht funktionieren (lacht). Also habe ich Deutsch gesungen.
Mir war wichtig, eine CD zu produzieren, mit der ich meine persönliche Geschichte erzählen kann. Viele kennen mich aus meinen unterschiedlichen Rollen. Mit dem Album wollte ich zeigen, wer ich bin und die Zuhörer mit Gino bekannt machen.

Du kommst aus den Niederlanden. Seit sechs Jahren lebst du wieder in Deutschland. Durch deinen Beruf bist du auch viel unterwegs: Was ist Heimat für dich?

Heimat ist, wo ich mich Zuhause fühle. Zurzeit ist das Hamburg. Und Amsterdam ist eine Stadt, die ich liebe. Es ist nicht mein Zuhause, aber Amsterdam ist mir vertraut. Dort fühle ich mich wohl. Wenn ich auf dem Flughafen lande oder mit dem Zug in den Bahnhof einfahre, ist das schon ein bisschen wie nach Hause kommen. So habe ich das eigentlich auch in Berlin. Berlin ist ebenfalls eine Stadt, die ich liebe.

Gibt es Personen, die dich auf deinem künstlerischen Weg besonders inspiriert haben oder inspirieren?

Meine Mutter. Sie ist verstorben als ich 20 Jahre alt war, aber bis heute meine Inspiration.
Und ich habe sehr, sehr talentierte Kollegen. Manche von ihnen kann ich Freunde nennen. Die gemeinsame Arbeit und der Austausch untereinander können inspirierend sein. Wie geht jemand an eine Rolle heran? Wie arbeitet er mit anderen zusammen? Das ist oft eine Frage der Persönlichkeit und kann eine Inspiration sein. Manchmal auch im negativen Sinn (lacht). Dass ich für mich dann sage: Nein. So möchte ich es eher nicht machen.

Wenn du nicht Künstler geworden wärst: Welchen Beruf hättest du dir dann vorstellen können?

Was für einen anderen Beruf ich mir früher hätte vorstellen können, das weiß ich gar nicht. Aber mein eigenes, kleines Café zu eröffnen – das ist schon ein Traum von mir.

Und auf der Bühne? In welchen Produktionen wirst du in diesem Jahr noch zu sehen sein?

Es gibt eine Produktion, auf die ich mich sehr freue. Damit wird ein großer Traum von mir wahr. Leider darf ich noch nicht mehr verraten. Bis dahin werde ich weiter als Ike Turner in Hamburg auf der Bühne stehen.

 

Ein paar Eindrücke von der Kinky-Boots-Medienpremiere mit Gino Emnes als Lola gibt es hier auf Theaterliebe zu lesen.