Kinky Boots: Glitzer, Glamour und Lebensfreude

Hamburg wird kinky. „Kinky Boots“ bringt jede Menge Glitzer, Glamour und Spaß ins Operettenhaus an der Reeperbahn. Nach Erfolgen am Broadway, im Londoner Westend, in Korea, Toronto, Australien und Japan feierte das Musical mit Musik und Liedtexten von Cyndi Lauper am Sonntagabend Deutschlandpremiere – und wurde umjubelt. Und das aus gutem Grund. Mit Kinky Boots ist ein richtig gutes Musical zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Geschichte um Drag Queen Lola, die einen Schuhfabrikanten mit sexy Stiefeln vor der Pleite rettet, passt perfekt zur Reeperbahn. Und auch die Botschaft des Stücks scheint heute so wichtig wie schon lange nicht mehr.

Mit High Heels für mehr Toleranz

Klar. Auf den ersten Blick geht es um Schuhe. Um knallige, extravagante Schuhe mit extremem Look und noch extremeren Absätzen. Um High-Heel-Stiefel für Drag Queens. Sie sind es, die eine Marktlücke füllen, den Fabrikerben Charlie Price vor der Pleite bewahren und das Traditionsunternehmen Price & Son wieder auf Kurs bringen. Und sie stehen stellvertretend auch für einen Lebensstil, der so gar nicht in die englische Kleinstadt Northampton passen will, durch die Drag Queen Lola auf einmal stöckelt, um als Chefdesignerin von Price & Son den Entwürfen der neuen Produkte das gewisse Etwas zu verleihen. Welten treffen aufeinander. Und auf einmal geht es nicht nur um Schuhe. Sondern um Toleranz und Akzeptanz. Darum, sich selbst zu finden und man selbst zu sein.

Mit Charme statt Klamauk

Dabei bringt Kinky Boots diese Botschaft nicht bierernst und mit erhobenem Zeigefinger über die Bühne. Stattdessen sprüht das Musical vor Charme, Humor und Lebensfreude, sorgt mit poppig-rockigen Up Tempo-Songs für Party-Laune und mit gefühlvollen Balladen für die ruhigen, ernsten Augenblicke. So hält das Stück seine Balance und bleibt weit entfernt von Klamauk und Kitsch.

Starke Cast

Dabei steht und fällt der Erfolg dieses Musicals auch mit der Besetzung der Lola. Gino Emnes (Fotos: Stage Entertainment) gibt die Drag Queen durch und durch glaubwürdig und beherrscht die Bühne von der ersten Sekunde an, in der er sie betritt. Mit feinem Gespür für seine Rolle und toller Stimme zeichnet er das Porträt eines Mannes, der versucht, den Erwartungen seines Vaters gerecht zu werden und gleichzeitig er selbst sein zu können. Er, der so ganz anders ist, als das klassische Männerbild vorgeben will. Wie Gino Emnes als Lola mit all ihrer Extravaganz und Wärme, Theatralik und Charme die Rollenbilder auf den Kopf stellt und Vorurteile demaskiert, ist großartig. Dabei tanzt und stöckelt der Darsteller mit einer Selbstverständlichkeit auf den hohen Absätzen über die Bühne, als hätte er nie etwas anderes gemacht.

In Dominik Hees als Charlie Price hat Gino Emnes schauspielerisch und gesanglich einen starken Darsteller an seiner Seite, der es versteht, Lolas enormer Präsenz eine ausdrucksstarke Charakterzeichnung des unentschlossenen Fabrikerben entgegenzusetzen, Durch den plötzlichen Tod seines Vaters und die bevorstehende Pleite der Firma wird Charlie gezwungen, seinen Lebensplan zu überdenken und endlich Verantwortung zu übernehmen. Hilfe und Inspiration findet er dabei in Lola. Das ungleiche Paar stellt dabei schnell fest, das es mehr gemeinsam hat, als gedacht. Die Ballade „Nie dieser Sohn“ ist ein Höhepunkt der nachdenklichen Momente, die das Stück bietet.

Everybody say yeah

Auch die übrige Besetzung überzeugt: Franziska Schuster gibt Charlies Verlobte Nicola herrlich zickig und oberflächlich, Jeannine Wacker spielt die bodenständige, direkte Lauren sympathisch und mit dem richtigen komödiantischen Timing, so dass sie neben Gino Emnes als Lola wohl die meisten Lacher auf ihrer Seite hat. Die Entwicklung des kräftigen Vorarbeiters Don bringt Benjamin Eberling nachvollziehbar auf die Bühne. Erst voller Vorurteile gegenüber Lola und überzeugt davon, dass „jede Frau einen Mann braucht, der es ihr besorgen kann“, lernt er, Menschen genau so zu akzeptieren, wie sie sind. Beeindruckend sind auch Lolas Angels, die auf zentimeterhohen Absätzen über die Bühne schweben und tanzen und dabei die schrill-glamourösen Kostüme von Gregg Barnes gekonnt in Szene setzen.

Der starken Cast und der Regie von Jerry Mitchell gelingt es, das stimmungsvolle und gleichzeitig aussagekräftige Musical authentisch und mitreißend auf die Bühne und das Publikum zum Feiern und Nachdenken zu bringen. Eine Leistung, die die Zuschauer  mit ausdauernden Applaus und Standing Ovations belohnten. Also: Everybody say YEAH!

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