Bewegende Momentaufnahmen: Songs for a new World

Ursprünglich stand Cabaret auf dem Spielplan der Oper Dortmund. Doch wie das Theater auf seiner Webseite selber schreibt: „Besondere Zeiten verlangen besondere Maßnahmen – und besondere Stücke.“ So feierte Jason Robert Browns Musical Revue Songs for a new World Ende September Premiere in Dortmund – in einer überzeugenden, anrührenden Inszenierung, die viel mehr ist als eine Notlösung zu Corona-Zeiten.

Aufbruch in eine neue Welt

16 Songs, 16 Szenen: Von einem klassischen Musical ist Songs for a new World weit entfernt. Komponist und Autor Jason Robert Brown reiht in seinem 1995 uraufgeführten theatralischen Liederzyklus voneinander unabhängige Geschichten aneinander. Diese Momentaufnahmen unterschiedlicher Menschen in unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten haben nur eines gemeinsam: Sie alle erzählen von einer lebensverändernden Entscheidung, von einem Aufbruch in eine neue Welt.

Jede Szene ein Musical für sich

„Die neue Welt“ heißt dann auch das erste Stück, mit dem der Reigen aus Hoffnung und Angst, Neugier und Mut, Sehnsüchten und (verpassten) Chancen eröffnet wird. Von da an wird das Publikum Zeuge verschiedener Neuanfänge und Wendepunkte: Es begleitet die Menschen an Deck eines spanischen Segelschiffs, das 1492 Richtung Amerika aufbricht. Es fühlt mit einer werdenden Mutter. Es schmunzelt über die frustrierte Frau des Weihnachtsmanns, die am Nordpol die Feiertage immer alleine verbringen muss. Oder es träumt mit einem jungen Mann von der großen Sportkarriere.

Anders als in anderen Inszenierungen von Songs for a new World erzählen die Protagonistinnen und Protagonisten  nicht „nur“ in einem auf das Wesentliche reduzierten Ambiente aus ihrem Leben. Regisseur Gil Mehmert verwandelt jeden einzelnen der 16 Songs, jede einzelne Geschichte quasi in ein eigenes kleines Musical und schafft fließende Übergänge, so dass sich die einzelnen Szenen auch ohne gemeinsamen Handlungsstrang und feste Charaktere zu einem großen Ganzen zusammenfügen.

Raffiniertes Bühnenbild

Ein gewaltiges Gerüst, das auf mehreren Ebenen bespielt werden kann und raffiniert genutzt wird, dominiert dabei die Bühne (Bühnenbild: Gil Mehmert). Ein Podest davor erinnert in seiner Form an einen Kompass, wird aber in Sekundenschnelle zum Schiffsbug, zur Penthouse-Terasse oder zur Bar. Zahlreiche Requisiten und für jede noch so kleine Szene genau abgestimmte Kostüme (Falk Bauer) – vom Glitzerfrack über das Hochzeitsoutfit bis zur Footballausrüstung – geben jeder Geschichte und jedem Charakter außerdem den passenden Rahmen und Look. Für einen Liederzyklus wie Songs for a new World eher selten aber sehr wirkungsvoll sind die mal sehr dezent gehaltenen, mal expressiven Choreographien von Jörn-Felix Alt.

Von Höhenflügen und Tiefschlägen

Die Charaktere und ihre Geschichten bringen vier großartige Darsteller*innen auf die Bühne: Bettina Mönch, Sybille Lambrich, David Jakobs und Rob Pelzer bringen die Höhenflüge und Tiefschläge des Lebens glaubwürdig und gesanglich stark auf die Bühne. Bettina Mönch, die im vergangenen Jahr ebenso wie David Jakobs in der Dortmunder Inszenierung von „Jekyll & Hyde“ begeisterte, zeigt die ganze Bandbreite ihres Könnens: Sie spielt als exzentrische, nicht beachtete Gattin mit Selbstmord-Gedanken, berührt in „Sterne und Mond“ als Frau, die rückblickend erkennt, eine falsche (Männer-)Wahl getroffen zu haben und stellt nur wenige Szenen später als Santas Ehefrau ihr Gespür für Komik unter Beweis.

Sybille Lambrich geht in jeder ihrer Rollen auf und meistert diese mit starker, warmer Stimme. Besonders im Gedächtnis bleibt ihre Interpretation von „Wiegenlied zu Weihnacht“ als junge werdende Mutter, die trotz widriger Umstände voller Hoffnung ist. Auch als selbstbewusste, unerschrockene Braut weiß sie mit nuanciertem Spiel zu überzeugen und die tief verborgenen Unsicherheiten doch spürbar werden zu lassen. Als sie ihr Brautkleid trägt, hat ihr Zukünftiger seinen Smoking ausgezogen und sie verlassen.

Authentische Charakterzeichnung

Auch David Jakobs und Rob Pelzer verstehen es in ihren Rollen auf ganzer Linie zu überzeugen. Ob als von Zweifeln geplagter und von der Verantwortung für all  die Menschenleben an Bord nahezu erdrückter Kapitän auf einer Reise ins Ungewisse oder als junger Mann, der hinter dem Burgergrill von einer Sportkarriere träumt: David Jakobs bringt eine eindringliche, authentische Zeichnung der Charaktere auf die Bühne – gepaart mit einer beeindruckenden Gesangsleistung. Auch Rob Pelzer versteht es, seine Rollen darstellerisch und stimmlich auf den Punkt auszufüllen und begeistert insbesondere mit seinem Solo „Sie weint“ als Mann, der es nicht schafft, den entscheidenden Schlussstrich unter eine bereits gescheiterte Beziehung zu ziehen.

Besonderes Werk in besonderer Inszenierung

Die Musik von Jason Robert Brown ist so vielseitig und vielschichtig wie die Geschichten selbst. Seine Komposition verbindet Pop-Elemente und Gospel, Jazz und Funk und wird von den Mitgliedern der Dortmunder Philharmoniker unter Leitung von Christoph JK Müller treffend und sicher gespielt. Und wenn sich mit dem letzten Song „Hör mein Lied“ der Reigen schließt und Hoffnung sowie Mut die Schritte in die neue Welt begleiten, hat das Publikum ein besonderes Werk in einer besonderen Inszenierung erlebt, die – gerade in der aktuellen Zeit Zeichen setzt und in Erinnerung bleibt.