Spring Awakening: bedrückend und berührend

Die Bühnenausstattung ist karg. Eine schwarze Rampe dominiert den Raum, ein paar Hocker stehen verteilt. Wirkungsvolles Licht schafft Atmosphäre. Mehr ist nicht nötig: Die Folkwang Universität der Künste versteht es auch – oder gerade – so, das Rock-Musical Spring Awakening von Duncan Sheik (Musik) und Steven Sater (Buch & Gesangtexte) absolut packend und überzeugend auf die Bühne zu bringen. Das ist ganz besonders der Verdienst der jungen, überaus talentierten Darstellerriege. Das Spiel der Studenten und Studentinnen des dritten und vierten Jahrgangs ist ehrlich, gefühlvoll und leidenschaftlich, so dass sich die Wirkung des auf Wedekinds Drama „Frühlings Erwachen“ basierenden Stücks mit voller Wucht entfalten kann.

Sprachrohr des Unausgesprochenen

Als Wedekinds Kindertragödie erschien, war das Stück vom Erwachsenwerden, vom Entdecken der Sexualität, von falscher Moral und autoritärer, Gehorsam fordernder Erziehung ein Skandal. Doch auch, wenn Spring Awakening in der Essener Inszenierung von Nicole C. Weber im frühen 20. Jahrhundert angesiedelt ist, bleibt sie nicht dort verhaftet. Im Gegenteil: Der Klassiker, der unter anderem Missbrauch, Leistungsdruck und Selbstmord thematisiert, hat auch in aktuellen Zeiten seine Berechtigung und mit der rockig-poppigen Musik von Sheik eine weitere Ausdrucksform gefunden.

Es sind die Songs, die den Ängsten, Hoffnungen und Sehnsüchten der Jugendlichen Gehör verschaffen, einen Einblick in ihr Seelenleben erlauben und dem Unausgesprochenen Ausdruck verleihen, das in der Erwachsenenwelt unerhört bleiben soll und oftmals unter der geltenden Moral auch noch „unerhört“ ist. Die Band unter der Leitung von Patricia Martin – im hinteren Bereich der Bühne platziert- bringt diese Partitur kraftvoll zum Klingen und Rocken.

Starke Darstellerriege

Auch die Darstellerinnen und -darsteller überzeugen auf ganzer Linie. Voller Spielfreude und mit starker Bühnenpräsenz ziehen sie die Zuschauer hinein in die Geschichte, die unaufhaltsam auf ein tragisches Ende zusteuert. Träume, Sehnsüchte und Menschenleben zerbrechen an dem Schweigen, der falschen Moral und dem Erwartungsdruck der Gesellschaft. So wird die junge Wendla ungewollt schwanger und stirbt an einer illegalen Abtreibung. Der sensible Moritz Stiefel verzweifelt am Leistungsdruck seines Elternhauses und begeht Selbstmord. Und der rebellische Melchior Gabor, der sich selbst die Antworten auf seine Fragen gibt, landet in der Korrekturanstalt.

Hella-Birgit Mascus und Thorsten Ritz bringen als Lehrer und Eltern die Welt und Sichtweise der Erwachsenen auf die Bühne. Die Rollen der Jugendlichen sind durchweg mit Studentinnen und Studenten der Folkwang Universität besetzt. Lara Hofmann ist eine lebensfrohe, neugierige Wendla, die keine Antworten auf ihre drängenden Fragen findet. Diese fühlt sich zu Melchior Gabor hingezogen, den Florian Sigmund mit starker Stimme und authentischem Spiel gibt. Besonders sein gesungener Vorwurf auf der Beerdigung von seinem Freund und Schulkameraden Moritz Stiefel und seine Verzweiflung an Wendlas Grab bleiben im Gedächtnis. Alejandro Nicolás Firlèi Fernández begeistert als verunsicherter „seelenvoller, bedrückter“ Moritz Stiefel, dessen Welt ins Wanken gerät. Er selbst vermag es nicht, sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen und seine Hilferufe bleiben ungehört. Eindrucksvoll und mit tollem, ausdrucksstarken Gesang agiert auch Jessica Trocha als Ilse. Und wenn Zoe Staubli als Martha über den erfahrenen Missbrauch singt „Ich gebe nie preis, was nur die Dunkelheit weiß“, ist das so intensiv wie bedrückend (Fotos: Franziska Götzen).

Mit der diesjährigen Ensembleproduktion stellt die Folkwang Universität der Künste erneut das hohe Niveau ihrer Studierenden und Absolventen unter Beweis und gibt mit Spring Awakening zugleich einem aussagekräftigen Stück Raum, das noch lange nachhallt.