Mark Seibert: Herbsttöne mit noch mehr Abstand

„Jetzt erst recht.“ Das hätte auch das Motto von Mark Seiberts Surprise Konzerten „Herbsttöne mit Abstand“ Mitte Oktober in der Kölner Agentur Shanti sein können. Denn kurz vor den drei mit jeweils 27 Zuschauer*innen geplanten Konzerten stiegen die Corona-Zahlen deutlich. Die Stadt verschärfte  ihre Corona-Verordnung. Die genehmigte Zuschauerzahl sank. Aber: Eine Absage gab es nicht. Stattdessen schrieb Veranstalter Ratan Jhaveri mehr als 300 Mails. Telefone liefen heiß, Ticketbesitzer*innen verzichteten auf ihre Teilnahme und bekamen einen Gutschein – und die Konzerte fanden statt. Mit nur 18 besetzten Stühlen im Publikum. Mit noch mehr Abstand. Mit Maskenpflicht am Platz. Und mit einem der wohl bekanntesten  Musical-Darsteller Deutschlands.

Kleines Konzert. Großer Kontrast.

Ob als Tod in „Elisabeth“. Als Graf von Krolock in „Tanz der Vampire“. Colloredo in „Mozart. Lancelot in „Artus“. Gerold in „Die Päpstin“. Oder Edward in „Pretty Woman“: Mark Seibert hat bereits in vielen große Rollen in vielen großen Musicalproduktionen auf der Bühne gestanden, ist mit Shows durchs ganze Land getourt und gibt ausverkaufte Konzerte – in Deutschland, Österreich oder auch mal Shanghai. Ein kleines Konzert mit gerade einmal 18 Zuschauer*innen? Im „Keller von Köln-Nippes“? Größer könnte der Kontrast wohl kaum sein. Doch gerade dieser Kontrast macht das Besondere der Surprise Konzerte aus  – und scheint auch Mark Seibert spürbar Spaß zu machen, der immer wieder mal in der Agentur Shanti zu Gast ist.

Wie eine Probe mit Publikum

„Hier ist es immer ein bisschen wie eine Probe mit Publikum“, sagte der Sänger dann auch lächelnd, nachdem er die Sonntagsmatinée mit „Der letzte Tanz“ aus Elisabeth eröffnet hatte. Unplugged. Nur von Ratan Jhaveri am Flügel begleitet. Und genauso ging es weiter. Echt und ehrlich statt glattgebügelt und durchinszeniert. Von den angekündigten Fehlern, die „ich bestimmt machen werde“ – so Mark Seibert – merkte das Publikum aber nichts. Stattdessen erlebte es einen rund zweistündigen Konzertnachmittag voller musikalischer Höhepunkte.

Weltpremiere aus Robin Hood

Die Setlist war vielseitig und beinhaltete manche Überraschung – vom Pop-Klassiker bis hin zu ersten Weihnachtssongs: Mark Seibert hielt sich nicht allein an große Musicalhits, auch wenn diese natürlich nicht zu kurz kamen. Es gab etwas aus „Pretty Woman“ zu hören, aus „Der Glöckner von Notre Dame“. Und eine Weltpremiere. Zum ersten Mal sang Mark Seibert „Woran soll ich noch glauben“ vor Publikum. Ein Solo aus dem Musical „Robin Hood“, das nächstes Jahr mit dem gebürtigen Frankfurter in der Titelrolle uraufgeführt werden soll – und hoffentlich auch werden kann. Die musikalische Kostprobe jedenfalls machte Lust auf mehr: Die verzweifelte Anklage des Helden, der zwischen Trauma und (Zukunfts-)Träumen schwankt, geht unter die Haut und ins Ohr.

Pop-Klassiker mal anders

Dem 80er-Jahre-Hit „Take on me“, der ganz ohne Synthesizer-Sound in einer speziellen Klavierversion langsam und klar daherkam, verlieh Mark Seibert mit seiner Interpretation eine ernstere, fast zarte Wirkung. Für einen wahren Gänsehautmoment sorgte aber die leise, sehr gefühlvolle Version von Eric Claptons „Tears in Heaven“. „Ich mag es, Geschichten zu erzählen, Emotionen zu vermitteln“, sagte der Musical-Darsteller anschließend. Die Story hinter den Songs zu transportieren, sei ihm wichtig. Und das gelang: Das Publikum tauchte in die Liederwelten ein und belohnte jeden Song mit viel Applaus, der einen die überschaubare Zuschauerrunde vergessen ließ.

Auch zwischen den Songs gab es so manche Geschichten zu hören. Ungekünstelt und sympathisch erzählten Mark Seibert und Ratan Jhaveri  von besonderen Probenmomenten und gemeinsamen Produktionen. Sie sprachen über Agentur Shanti Traditionen. Über Weihnachtslieder. Beliebte Auditionsongs. Und über die wissenschaftliche Erklärung von Ohrwürmern. Oder sie verschenkten kleine Kürbislichter ans Publikum. Sie improvisierten, philosophierten und scherzten: Auch die Moderationen waren eben „work in progress“ – und machten gerade deswegen unheimlich viel Spaß.

 

Unikat für die Ohren

Wie gut sie auch künstlerisch aufeinander eingespielt sind, stellten Mark Seibert und Ratan Jhaveri zum Schluss noch einmal eindrucksvoll unter Beweis. „Lassen wir uns überraschen, was wir daraus machen“, kündigte Ratan Jhaveri  „Die unstillbare Gier“ aus „Tanz der Vampire“ an. Kleinste Gesten und Blickwechsel reichten den beiden Profis dann aus, um zu improvisieren und eine ganz eigene Version des vielgehörten Grafen-Solos auf die Bühne zu bringen: kraft- und gefühlvoll zugleich. Ehrlich und echt. Ein weiterer Höhepunkt des Konzertnachmittags, der mit einer Zugabe aus „Les Misérables“ zu Ende ging: „Empty chairs and empty tables“. Gesungen in der Hoffnung, dass  die Plätze in Theater- und Konzertsälen nicht leer bleiben und Bühnen bespielt werden (dürfen!). Ein Zeichen dafür hatten die „Herbsttöne mit noch mehr Abstand“ jedenfalls eindrucksvoll gesetzt. Die aktuelle Situation ist leider eine andere.