Turbulenter Schlagabtausch: Kiss me Kate in Hagen

Schon mit der ersten Szene ist das Publikum mittendrin: Mittendrin im „Premierenfieber“ einer kleinen Theatertruppe in Baltimore, die „Der Widerspenstigen Zähmung“ auf die Bühne bringen will. Mittendrin in dem geschäftigen Gewimmel hinter den Kulissen, wo – getreu nach Shakespeare – ebenfalls Liebe und Leidenschaft aufeinander treffen. Und mittendrin in Cole Porter´s Musical „Kiss me, Kate“, das vom Theater Hagen in einer bezaubernden, temperamentvollen Inszenierung gezeigt wird.

Schlagabtausch vor und hinter den Kulissen

Auf der Bühne sind sie ein Liebespaar. Dahinter seit genau einem Jahr geschieden. Fred Graham (Kenneth Mattice), selbstsicherer und selbstverliebter Regisseur und Hauptdarsteller der Shakespeare-Komödie hat seine streitbare Ex-Frau Lilli Vanessi (Emily Newton) für die Hauptrolle der Katharina gewinnen können. Ihr Herz hingegen hat er schon lange verloren. Lilli hat einen neuen Verlobten und Fred selbst bandelt mit der heiß begehrten und ehrgeizigen Lois Lane an. Trotzdem: So ganz kommen die beiden nicht voneinander los. Sie belauern sich eifersüchtig, streiten, dass die Fetzen fliegen und schwelgen in der nächsten Sekunde wieder in Erinnerungen an vergangene – gemeinsame – Zeiten. Als ein an Lois adressierter Blumenstrauß versehentlich bei Lilli landet und alte Gefühle wieder aufflammen lässt, gehen die Turbulenzen erst richtig los – und das Shakespeare-Stück der Truppe fast den Bach runter. Das wissen zwei Ganoven zu verhindern, die das ganze Chaos perfekt machen. Sie müssen Geld eintreiben und das geht nur, wenn der Theaterbetrieb weiter läuft…

Turbulente Beziehungskiste

Regisseur Roland Hüve erzählt die turbulente Geschichte (Fotos: Klaus Lefebvre) vor einem großen, silbernen Glitzervorhang und mit schnellen, fließenden Szenenwechseln. Der Einsatz der Drehbühne unterstützt die Übergange zwischen den Spielorten: Mal spielen sich die (Wort-)Gefechte des Ex-Paares in der Garderobe, mal direkt auf der Bühne ab. Mal kommt eine große Showtreppe zum Einsatz, mal der Hinterhof des Theaters mit seiner leicht heruntergekommenen Backsteinwand zum Vorschein (Bühne und Kostüme: Siegfried E. Mayer). Die Kostüme sind stimmig-schlicht hinter und fantasievoll-ausgefallen vor den Kulissen. Besonderer und gleichzeitig aussagekräftiger Hingucker ist der mit zig Krawatten versehene Rock der selbstbewussten, männerverachtenden Katharina. Die temporeichen Choreographien von Andrea Danae Kingston unterstreichen das Geschehen und werden von den Tänzerinnen und Tänzern eindrucksvoll umgesetzt. Völlig zu Recht wird sowohl die Eröffnungsszene als auch die von Alexander Brugnara als Paul mitreißend interpretierte Nummer „Too darn hot“ mit Jubel und viel Applaus bedacht.

Die Chemie stimmt

Doch die Inszenierung des Musicals steht und fällt mit der Besetzung der beiden Hauptrollen. Hier muss die Chemie stimmen, damit die Fetzen fliegen und die Funken sprühen. In Hagen gelingt genau das. Kenneth Mattice und Emily Newton spielen Fred und Lilli – die wiederum Petrucchio und Katharina spielen – mit dem richtigen Gespür für Komik und Timing. Hin- und hergerissen zwischen Abneigung und Anziehung nehmen sie die Zuschauer mit auf ihre Achterbahn der Gefühle. Emily Newton besticht dabei nicht allein mit strahlend-schöner Stimme, sondern mit differenziertem Spiel: Der Sopranistin gelingt es immer wieder auch die weichen, verletzlichen Seiten der sarkastischen und selbstbewussten Lilli durchscheinen zu lassen. Kenneth Mattice hingegen ist ein überzeugender, scheinbar abgebrühter Macho, der im Schlagabtausch mit seiner Ex-Frau nicht nachgeben kann – und sie dann doch halten will, als er sie fast endgültig verliert.

Wie im Flug

Zu Publikumslieblingen avancieren auch Rainer Zaun und Boris Leisenheimer als knallhartes Gangster-Duo.  In bester Slapstick-Manier und mit Ruhrpott-Slang mischen sie das Bühnengeschehen auf, drohen, erpressen und schießen auch mal kaltblütig darauf los. Dabei verfallen sie selbst der Faszination Theater, was in dem Showstopper des Abends mündet: Bei „Schlag´s nach bei Shakespeare“ ziehen sie alle Register und genießen sichtlich jedes „Comeback“ für eine weitere Strophe. Ebenso wie das Publikum, das mit der Hagener Inszenierung des immerhin fast dreistündigen Musical-Klassikers einen unterhaltsamen Abend erlebt, der wie im Flug zu vergehen scheint.

Am 8. Juli um 18 Uhr zeigt das Theater Hagen „Kiss me, Kate“ zum letzten Mal in dieser Spielzeit. Wiederaufnahme ist am 9. September.