Voller Glanzpunkte: Jeykll & Hyde in Dortmund

Der letzte Ton ist gerade verklungen, da hält die Zuschauer im Opernhaus nichts mehr auf ihren Sitzen: Sie feiern die Premiere der Dortmunder Inszenierung von „Jekyll & Hyde“. Gründe dafür gibt es an diesem Abend zu Genüge. Mit einem fantastischen Bühnenbild, wunderbaren Kostümen und einer starken Darstellerriege gelingt dem Theater eine erstklassige Produktion voller Glanzpunkte.

Was ist gut? Was ist böse? Und was wäre, wenn man das eine vom anderen trennen könnte, um alles Schlechte in einem Menschen zu eliminieren? Dieser Frage geht Dr. Henry Jekyll nach. Besessen sucht er eine Antwort. Nachdem die Erprobung seiner Forschung an Menschen abgelehnt werden, schlägt er einen Weg ein, der ihn zum gefährlichen Selbstversuch führt  – und das Böse in ihm zum Vorschein bringt: Edward Hyde. Sein animalisches Alter Ego mordet sich durch das viktorianische London und wird zu Jekylls schlimmsten Gegenspieler.

 

Großartiges Bühnenbild

Regisseur Gil Mehmert inszeniert das Musical nach der Novelle von Robert Louis Stevenson dynamisch und mit nahezu filmischen Sequenzen. Die fließenden Szenen- und Ortswechsel kreieren einen abwechslungsreichen Erzählfluss. Getragen wird dieser Effekt von der großartig gestalteten und wirkungsreich genutzten Drehbühne (Bühne: Jens Kilian). Sie ermöglicht den Figuren nahtlose Übergänge vom holzvertäfelten, mit dicken Ledersesseln und Bücherschränken ausgestatteten Zuhause Jekylls in das heruntergekommene Bordell „Rote Ratte“ und vom efeuberankten Garten mit Parkbank in die dunklen Gassen der Stadt. Das Labor des vom Forscherdrang getriebenen Doktors befindet sich im Keller. Will Jekyll in die (Un-)Tiefen des menschlichen Verstandes vordringen, fährt die Hebebühne nach oben und lässt sein Labor sichtbar werden, durch das Dämpfe wabern und auch mal Funken fliegen. Was das Opernhaus hier auffährt, kann sich wirklich sehen lassen.

Hinter der Fassade

Und das gilt auch für Kostüme und Maske (Fotos: Björn Hickmann / stage picture): Mit Bischofsornat und Offiziersuniform, mit Miedern und Strapsen wird auch in der Ausstattung das viktorianische London lebendig und mit ihm der Adel, die Ärzte- und Anwaltschaft, die Huren und Zuhälter. Gleich zu Beginn wird die heuchlerische Oberschicht entlarvt: Zum Song „Fassade“ ziehen sie mit ihren prunkvollen Kleidern, eleganten Roben und prächtigen Uniformen  ihre ganz persönliche Fassade an. Doch egal ob Salon oder Bordell: Eine Maske tragen sie alle. Mit weißen, teilweise clownesk geschminkten Gesichtern spielen die Darsteller ihre Rollen.

Starke Darstellerriege

David Jakobs meistert die Doppelrolle des Jekyll & Hyde bravourös. Er ist der von seiner Forschung überzeugte und getriebene Arzt. Und er ist der brutale, grausame Mörder. Klingt seine Stimme in der einen Sekunde noch gefühlvoll, ist sie in der nächsten rauh, ohne Emotionen und aggressiv. Als Hyde zieht er mit schleichendem, selbstbewussten Gang durch die Straßen, einem Raubtier gleich, dass sich an seine Beute heranpirscht. Auch gesanglich weiß Jakobs in dieser anspruchsvollen Rolle durchweg zu überzeugen. Seine Interpretation von „Dies ist die Stunde“ wird vom Publikum mit langem Szenenapplaus bedacht.

Milica Jovanovic gibt Jekylls Verlobte Lisa als moderne, junge Frau, die – entgegen aller Konventionen – selbst entscheidet, wen sie heiraten will, Hyde aber gleichzeitig nicht ergeben und blind folgt. Als sie Henry kaum noch wiedererkennt, dringt sie mit ihrer Liebe auch durch seine „monströse“ Seite zu ihm hindurch. Gesanglich harmoniert Milica Jovanovic mit ihrer klaren, sicher geführten Stimme sehr gut mit David Jakobs.

Nuancierte Charakterzeichnung

Einen besonders starken, musikalischen Akzent setzt sie allerdings gemeinsam mit Bettina Mönch (Lucy): Das Duett „Nur sein Blick“ ist eindringlich gesungen, berührend gespielt und zudem großartig in Szene gesetzt. Die Zerrissenheit Jekylls, das feste Vertrauen Lisas in ihn und die leise Sehnsucht Lucys nach einem besseren Leben wird hier greifbar. Bettina Mönch gelingt – gesanglich und darstellerisch – eine sehr nuancierte Charakterzeichnung der Prostituierten Lucy. Im bejubelten Solo „Männer her“ verführerisch und verrucht, versteht sie es im Verlauf des Stückes immer wieder,  die sanfte Verletzlichkeit ihrer Figur durchscheinen zu lassen. Ihre Lebensumstände haben Lucy hart gemacht, aber ihre Hoffnung, diesen doch zu entkommen, hat sie nicht verloren.

Die Kompositionen Frank Wildhorns  – düstere, temporeiche Rocksongs und getragene Balladen – bringen die Dortmunder Philharmoniker hervorragend zum Klingen. Philipp Armbruster führt das Orchester souverän und schwungvoll durch die Partitur und setzt so einen weiteren Glanzpunkt einer Inszenierung, die zu einem Renner der Dortmunder Spielzeit werden dürfte.