O, Augenblick: Bochum feiert sein Theater

Vor 100 Jahren nahm die Geschichte des Bochumer Schauspielhauses ihren Anfang. 100 Jahre, in denen das Theater über Deutschlands Grenzen hinweg berühmt wurde. 100 Jahre Theatergeschichte aus dem Pott, die jetzt auch auf der Bühne gefeiert werden: „O, Augenblick“ bricht dabei mit den Erwartungen an einen klassischen Rückblick. Der Liederabend ist schräg und turbulent. Laut und grell. Leise und eindringlich.

Geschichten erzählen die Geschichte

Regisseur Tobias Staab lässt die Reise durch die Vergangenheit in der Zukunft beginnen. Eine internationale Touri-Truppe macht sich mit Smartphone und Selfie-Stick auf die Suche nach dem Bochumer Schauspielhaus. Sie stoßen auf das ehemalige Gebäude – und einen Mann, der noch immer für das „legendäre, weltberühmte“ Theater brennt. „Ich könnte Geschichten erzählen“, sagt er. Und er erzählt. Geschichten. Nicht Geschichte. Entlang der Intendanzen von Saladin Schmitt bis Leander Haußmann entsteht ein Pot(t)pourri aus angerissenen Anekdoten und eingestreuten Erinnerungen, aus visionärer Videokunst und bunter Kostümschlacht, aus Zitaten und (Pop-)Songs (Fotos: Julian Roder).

Die Touristinnen selbst werden Teil der Geschichte und der Theaterkunst. Sie tanzen, singen, schauspielern und verwandeln sich in die Männer, die das Schauspielhaus als Intendanten geführt haben. Ein Spiel mit Identitäten beginnt, das sich durch den gesamten Abend zieht. Die Verwandlungen finden dabei vor den Augen des Publikums statt. Die Bühne ist größtenteils komplett einsehbar, weniges geschieht im Verborgenen. Immer wieder kommen Vorhänge zum Einsatz. Mal stehen und drehen sich architektonische Elemente des Schauspielhauses auf der Bühne. Wirklich versperrt ist der Blick nur, als der „eiserne Vorhang“ – der Feuerschutz zwischen Bühne und Zuschauerraum – fällt und Jing Xiang in einer der amüsantesten Szenen des Abends die Besonderheiten des „demokratischen“ Schauspielhaus-Neubaus feiert.

„Bochum“ auf Kisuaheli

Mehr als zwei Dutzend Lieder sind in „O, Augenblick“ zu hören, in ausgefallenen Arrangements (Musikalische Leitung Torsten Kindermann), großartig dargeboten von der vierköpfigen Band. Es ist Musik, die Teil früherer Inszenierungen war. Es sind Songs, die zu Persönlichkeiten und Ereignissen passen. Und es sind Lieder, die zu Bochum und seinem Theater gehören. Wie Peer Rabens „Kleiner Mann was nun“. Oder Grönemeyers „Bochum“. Der „Klassiker“ wird von Mercy Dorcas Otieno wunderschön gesungen – auch auf Kisuaheli.

Drei Stunden dauert der Theaterabend zum 100. Sie reichen Tobias Staab nicht aus, um den turbulent-skurillen Theater-Ritt durch die Intendanzen zu komplettieren. Er bricht abrupt ab. im Jahr 81 nach der Gründung. Nach einem langatmigen Rock´n´Roll-Rausch zu Leander Haußmanns Zeit in Bochum bleibt für dessen Nachfolger nur ein einfaches Lied übrig. Schnell werden ihre Namen hintereinander weggesungen. Schnell werden noch all die übrigen erwähnt, die Theater erst möglich machen: die SchauspielerInnen, DramaturgInnen, MusikerInnen, BühnenbildnerInnen, TechnikerInnen. Eben die, „die immer vergessen werden“, wie es in dem Liederabend heißt, der diese in seiner Konzeption selbst ein Stück weit in den Hintergrund rücken lässt, um im Finale dann zum „Rundumschlag“ auszuholen – eindeutig ein Manko der Inszenierung.

Publikum feiert sein Theater

Abschließend wird „auf die Vergessenen und Unvergessenen“ angestoßen, ein „gutes Gestern und ein besseres Morgen“ besungen. „Those were the days my friend“ lässt Requisiteurin Juliane Görtzen beim Epilog im Scheinwerferlicht stehen. Ein gelungener Abschluss. Mit Zugaben und minutenlangem Applaus feiert das Bochumer Publikum einen unterhaltsamen Liederabend  – vor allem aber eines: sein Theater.