Rampenlicht und Schattenseiten: „Tina“ in Stuttgart

Backstage. Tina Turner meditiert. Die Treppe vor ihr führt auf die Bühne des Maracanã-Stadions, in dem 188.000 Menschen auf sie warten. Es ist eines der größten Konzerte des 20. Jahrhunderts: „Tina – Das Tina Turner Musical” beginnt an einem der Höhepunkte in der Karriere des Weltstars. Von hier aus erzählt es die von vielen Tiefpunkten und Schattenseiten geprägte Lebensgeschichte der Künstlerin auf berührende und beeindruckende Weise. 2018 feierte das Bühnenmusical von Autorin Katori Hall in London seine Premiere im Londoner West End, bevor es in Hamburg Deutschlandpremiere feierte und seit Mitte März im Stage Apollo Theater Stuttgart zu sehen ist.

Blick auf ein Künstlerleben

Viel Bühnenbombast gibt es nicht. Eine große Leinwand. Eine Drehbühne. Bewegliche Rahmenelemente, die Bildausschnitte kreieren und die Zuschauer:innen wie in einen Schaukasten auf das Leben von Tina Turner blicken lassen. Das Set Design von Mark Thompson macht flüssige, kurze Szenenwechsel möglich. So reist das Theaterpublikum in Sekundenschnelle vom größten Tina-Turner-Konzert zurück zu den Anfängen – von Rio de Janeiro nach Nutbush Tennessee. Dort wurde Tina Turner als Anna Mae Brown geboren. Dort wuchs sie mit einem gewalttätigen Vater, einer strengen, kühlen Mutter und einer jüngeren Schwester auf. Sie findet Halt und Stärke in der Musik und in ihrer Großmutter. Bei ihr bleibt sie, als die Familie auseinander bricht, die Mutter mit der Schwester nach St. Louis zieht – und Anna Mae erst als Sechzehnjährige wieder zu sich holt.

Scheinwerferlicht mit Schattenseiten

Dort trifft das junge Mädchen auf Ike Turner. Er erkennt ihr Talent, stellt sie ins Rampenlicht, gibt ihr den Namen Tina Turner, nimmt sie mit auf Tour und wird später ihr Ehemann – der Beginn eines Lebens im Scheinwerferlicht, das hinter den Kulissen dunkle Schatten wirft und von einem jähzornigen, gewalttätigen und drogensüchtigen Mann bestimmt wird. Als Tina Turner schließlich die Trennung gelingt, bleibt ihr nur ihr Künstlername. Sie muss sich alles neu erkämpfen. Die Musik. Die Bühne. Den Erfolg. Erzählt wird diese Achterbahnfahrt des Lebens in einer Inszenierung (Regie: Phyllida Lloyd), die für Stuttgart noch einmal überarbeitet wurde und jetzt kürzer, schneller und flüssiger daherkommt.

Bekannte Hits mit deutschem Text

Anders als bei anderen Jukebox-Musicals werden die 24 Tina-Turner-Hits, die in der Show von der Band temporeich und mitreißend gespielt werden, sehr eng mit der Story verknüpft. Sie kommentieren das Geschehen, treiben die Geschichte voran. Da ist es eine schlüssige Entscheidung, einen Großteil der Songs ins Deutsche zu übersetzen. Besonders dann, wenn – wie in diesem Fall – die deutschen Texte rhythmisch passen und sich gut einfügen. Eingefleischte Fans der englischen Originale kommen trotzdem auf ihre Kosten: Werden Aufnahmen im Tonstudio gezeigt oder Konzertszenen performt, singt Tina-Darstellerin Aisata Blackman auf Englisch.

Umwerfende Bühnenpräsenz

Die Niederländerin mit karibischen Wurzeln hat schon im Hamburger Operettenhaus in der Rolle überzeugt. Und auch in Stuttgart bestimmt sie die Bühne mit umwerfender Präsenz und starker Stimme. Ihr Spiel ist authentisch und nuanciert, sie singt sich mit scheinbarer Leichtigkeit durch die Songs und wird in ihren Gesten, Posen, und Bewegungen zu Tina Turner, ohne eine reine Kopie zu sein. Es gelingt ihr, die Höhen und Tiefen der Künstlerin und der Frau Tina Turner eindringlich und berührend darzustellen. Intensiv ist das Zusammenspiel mit Carlos de Vries, der als Ike Turner „seinen“ Star bewusst klein halten will, um sich größer zu fühlen und bei all seiner Arroganz immer auch voller Unsicherheit zu sein scheint. Das wird besonders in der Krankenhausszene mit Tinas Mutter Zelma Bullock deutlich, die Kim Sanders im Umgang mit ihrer Tochter mit einer Kälte gibt, die schon beim Zusehen weh tut. Jahlisa Norton ist eine liebenswerte, temperamentvolle Alline, Martina Lechner gefällt als Tinas Managerin und Freundin Rhonda Graam mit klarer Stimme.

Musical wird zum Konzert

Nach fast drei Stunden wird die Eingangsszene im Macaranã-Stadion zur Gegenwart – und zum temporeichen Abschluss der Show. Das Theaterpublikum verwandelt sich in Konzertbesucher*innen, die von ihren Sitzen aufstehen, mitklatschen und ein Musical feiern, das es versteht, die bewegende Lebensgeschichte eines Weltstars eindringlich und unterhaltsam zugleich auf die Bühne zu bringen.

Theaterliebe hat in ihrer Hamburger Zeit als Tina Turner mit Hauptdarstellerin Aisata Blackman gesprochen. Das Interview gibt es hier zu lesen.