„Man sollte die Geschichte sehen. Nicht die Hautfarben der DarstellerInnen.“

Im Gespräch mit Aisata Blackman

Vom Flughafen auf die Bühne: Nach 13 Jahren als Angestellte bei einer Fluggesellschaft machte Aisata Blackman die Musik zu ihrem Beruf. Seitdem ist die Niederländerin, die einem breiten Publikum 2012 durch die Casting-Show „The Voice of Germany“ bekannt wurde, in großen Musicalrollen zu sehen – noch bis zum 18. August als Tina Turner in „Tina – das Tina Turner Musical“ in Hamburg. Im Interview spricht sie über die besonderen Herausforderungen dieser Rolle, ihren ausgefallenen Weg zu ihrem Traumberuf und Colourblind Casting.

Viele Jahre lang haben Sie Gesangsprojekte neben Ihrer Arbeit umgesetzt. Heute sind Sie hauptberuflich Sängerin und Musicaldarstellerin. Wann haben Sie realisiert, dass die Musik für Sie viel mehr sein kann als nur ein Nebenjob?

Ich war damals für „Soul of Motown“, eine Motown Tribute Show, engagiert. Zuerst war das für mich einfach ein Nebenjob wie die Engagements, die ich zuvor schon als Bandsängerin hatte. Und doch war es ganz anders. Wir haben von montags bis sonntags geprobt, fünf Monate am Stück zusammengearbeitet. Das war neu für mich und sehr schön. Trotzdem habe ich gedacht: Das war eine tolle Erfahrung. Aber jetzt geht es wieder in meinen „richtigen“ Job. Doch als ich zurückkam, spürte ich sofort: Diese fünf Monate mit „Soul of Motown“ haben mich verändert – ohne, dass ich es bemerkt habe. Ich hatte erlebt, wie es ist, mit Menschen umzugehen, die nur Musik fühlen, denken und leben. Ich hatte neue Impulse bekommen. Und das hat mein Denken verändert, mir neue Perspektiven gegeben. Aber trotzdem waren es fünf Jahre, in denen ich quasi mit der Musik als Vollzeitjob geflirtet habe.

Was hat Sie noch so lange zögern lassen?

Der Job am Flughafen hat sehr, sehr gut zu mir gepasst. Ich habe die Arbeit dort geliebt. Und ich fand es beängstigend, diese Sicherheit aufzugeben. Trotzdem bin ich immer wieder zu Auditions gegangen und habe so manche Absage bekommen. Als dann das erste „Ja“ kam, habe ich „Nein“ gesagt. Das ging mir dann doch zu schnell. (Sie lacht). Aber es war auch eine Angstreaktion. Viele Menschen in meinem Umfeld haben mich eher als Profi-Sängerin gesehen, als ich mich selbst. Besonders mein Vater hat mich immer bestärkt. Irgendwann habe ich dann gesagt: „Ganz oder gar nicht.“ Ich bin zu jeder Audition gegangen, die sich mir geboten hat. Als dann ein Angebot von Aida Cruises kam, war das der Moment der Entscheidung. Ich wusste: Mit meinem Job am Flughafen als Sicherheitsnetz gehe ich nie das volle Risiko. Also habe ich gekündigt. Und ehe ich mich versah, war ich in Hamburg und habe geprobt: sechs verschiedene Shows in sechs Wochen.

Nach ihrer Zeit auf dem Kreuzfahrtschiff haben Sie z.B. in „Rocky“ und „Sister Act“, „Bat out of Hell“ und „Bodyguard“ gespielt. Aktuell sind Sie die Erstbesetzung der Tina Turner in „Tina – Das Tina Turner Musical“. In einem Interview, das Sie zu Beginn Ihrer Bühnenkarriere gegeben haben, sagten Sie, dass Sie sich nicht unbedingt als Musicaldarstellerin sehen…

Ja. Und ich weiß, dass ich das jetzt bin (lacht herzlich). Aber ich bin auch immer noch Aisata. Ich bin immer noch neugierig, interessiere mich auch für andere Genres. Aber vor allem stecke ich mich selbst nicht gerne in eine Schublade. Am Anfang, als ich über die Musik als Vollzeitjob nachgedacht habe, habe ich auch immer mehr in Richtung Popmusik gedacht. Musical hatte ich gar nicht so auf dem Schirm. Ich weiß noch, dass ich einmal in Holland „Chicago“ gesehen habe. Das hat mir sehr gefallen. Aber ich habe auch gedacht: Das kann ich nie. Ich kann nicht so tanzen.  Außerdem gibt nicht so viele Musicals mit schwarzen Rollen. Ich hatte also ursprünglich nicht den Eindruck, das ist was für mich. Daher lag mein Fokus auf der Pop-Musik.

Sie sprachen gerade die geringe Rollenauswahl für People of Colour im Musical an. Haben Sie den Eindruck, dass es in der Musicalbranche Bestrebungen gibt, das zu ändern, z.B. indem Colourblind Casting eine wichtigere Rolle spielt?

Ich merke, dass es versucht wird. Es tut sich was. Und das ist gut und wichtig. Es gibt sehr wenige Rollen für Menschen, die nicht weiß sind. Also: Warum nicht Raum schaffen für alle Talente – unabhängig von ihrer Hautfarbe? Natürlich spielt die manchmal eine Rolle, finde ich. Bei historischen Stoffen zum Beispiel. Ein Stück wie „The Colour Purple“ ist eine schwarze Geschichte. Wenn man die erzählen möchte, funktioniert das nur mit schwarzen Darsteller:innen. Aber „Tanz der Vampire“? Es gibt Vampire noch nicht einmal (Sie lacht). Das ist eine rein fiktionale Story. Und viele Geschichten sind fiktiv. Ich war zum Beispiel als Freundin von Vivan Ward in „Pretty Woman“ gecastet. Das fand ich super. Dann kam allerdings „Bodyguard“ dazwischen. Aber grundsätzlich finde ich: The person, who is fit for the job should do the job.

Vor Jahren habe ich die Verfilmung von „Cinderella“ mit Whitney Houston gesehen. Die wurde schon damals – ich glaube, der Film ist von 1997 –  komplett colourblind gecastet. Im ersten Moment war das ungewöhnlich – und dann hat mich die Geschichte abgeholt. Und das ist, was zählt. Man sollte die Geschichte sehen. Nicht die Hautfarbe der Darsteller:innen. Und je selbstverständlicher das auf Bühnen, in Filmen und im Fernsehen wird, desto mehr ändert sich hoffentlich auch die Wahrnehmung im Alltag.

Die erste Geschichte, die Sie in einer Hauptrolle auf der Bühne erzählt haben, war „Sister Act“. Was haben Sie während dieser Produktion gelernt und mitgenommen?

In erster Linie habe ich da sehr, sehr viel an meinem Deutsch gearbeitet. Ich kam von „Rocky“, wo ich einzelne Sätze zu sagen hatte, zu einem Stück, in dem ich 80 Prozent der Zeit auf der Bühne war. Grundsätzlich war die Rolle für mich ein Sprung ins kalte Wasser. Nicht in leichtes Gewässer. Sondern in einen Fluss voller Strudel. Für mich hat es sich so angefühlt, als würde ich um mein Leben schwimmen. Es hat auch sehr lange gedauert, bis ich die Zeit wirklich genießen konnte. Sicherlich ein halbes Jahr. Bis dahin war jede Show eine Herausforderung. Aber: Es hat auch einfach unglaublich viel Spaß gemacht. Es war alles neu und cool. Natürlich gab es auch Unsicherheiten und Ängste. Aber es war einfach toll!

Noch bis zum 18. August rockt Aisata Blackman als Tina Turner die Bühne in Hamburg. Foto: Morris Mac Matzen

Seit Oktober 2021 sind Sie die Erstbesetzung der Tina Turner. Sie stehen fünf Mal in der Woche in „Tina – Das Tina Turner Musical“ auf der Bühne und erzählen eine Lebensgeschichte voller Höhen und Tiefen. Wie wirkt sich diese Rolle physisch und psychisch aus?

Diese Show ist sehr anstrengend. Körperlich und für die Stimme auch. Ich singe 24 Songs. Es gibt viele, sehr intensive Tanzszenen. Und dann ist da noch der emotionale Bogen dieser Lebensgeschichte, die viele Schicksalsschläge und Schmerz beinhaltet. Da kann ich nicht nur 50 Prozent geben. Das hat Tina Turner auch nicht gemacht. Um diese Geschichte zu erzählen, muss du in diese Gefühle reingehen – mit 100 Prozent. Nach dem ersten Akt bin ich immer wirklich geschafft und denke so oft: „Was für ein Leben.“ Diese emotionale Achterbahnfahrt der Geschichte berührt mich immer wieder. Der zweite Akt endet dann ja in einem Powerfest und hat unheimlich viel positive Energie. Danach bin ich auch geschafft, aber auf eine andere Art. Eher geschafft und erleichtert. Auch, weil ich als Darstellerin diese Show geschafft habe. Denn es gibt Tage, an denen denke ich: Packe ich das heute?

Wie stellen Sie sich auf diese Anforderungen ein, die die Rolle mit sich bringt?

Das Einzige, was ich machen kann – und ich schwimme mich quasi immer noch frei – ist zu versuchen, gut zu schlafen. Guter Schlaf ist nicht zu unterschätzen. Auch ist eine gesunde Ernährung wichtig. Und viel Flüssigkeit, ich muss viel trinken. Außerdem muss ich regelmäßig Sport machen, um meinen Körper fit zu halten. Ich spiele die Rolle ja erst seit Oktober und versuche immer noch rauszufinden, wie ich meinen Tag am besten strukturiere, damit ich abends im richtigen Rhythmus bin.

Wieviel Spielraum haben Sie bei der Interpretation dieser Rolle, die ja ein reales Vorbild hat?

Sehr viel. Ich kann ja nur mich selbst geben. Ich versuche, Parallelen zu finden. Das habe ich immer gemacht. Bei jeder Rolle, auch wenn sie fiktional ist, frage ich mich: Wer ist diese Frau? Als ich „Bodyguard“ gespielt habe, war es zwar ein fiktionaler Charakter. Aber dieser wurde von einer sehr bekannten Person gespielt. Da haben auch viele Menschen Erwartungen an die Darstellung. Und da muss man trotzdem seinen eigenen Weg finden. Ich teste aus, wie nah ich mit meinen eigenen Gefühlen Tina kommen kann. Natürlich gibt es einen besonderen Druck, weil Tina Turner so ikonisch ist. Sie bewegt sich auf eine bestimmte Art, sie singt auf ihre Art. Meine Stimme ist nicht so. Aber ich versuche einfach, ehrlich zu bleiben. Ich singe mit meiner eigenen Stimme. Aber es gibt Momente, in denen ich – vielleicht weil ich die Songs auch so oft gehört habe – den Weg zu ihrem Klang finde.

Deloris van Cartier in „Sister Act“, Rachel Marron in „Bodyguard”, Zahara in „Bat out of Hell” und jetzt Tina Turner: In den letzten Jahren hat in Ihrer Karriere eine große Hauptrolle die nächste abgelöst. Gibt es eine Figur, die Sie unheimlich gerne spielen möchten?

Aida. Definitiv. Das ist mein Traummusical. Aida ist eine sehr coole, sehr stolze Rolle. Als ich das Stück damals im Circustheater in Scheveningen gesehen habe, ist mir die Geschichte echt nahe gegangen. Ich liebe dieses Musical einfach. Und falls es wieder hier gezeigt werden sollte und ich die Rolle nicht bekomme: Dann gehe ich auf jeden Fall hin und sehe es mir wieder an.