Im Gespräch mit Anne Welte: „Wenn ich auf die Bühne gehe, möchte ich Wahrhaftigkeit.“

Sie gab eine preisgekrönte Mme. Thénardier in der deutschen Erstaufführung von Les Misérables. Bei der Welturaufführung von Tanz der Vampire in Wien kreierte Anne Welte die Rolle der Rebecca. Auch in Sweeney Todd, Rebecca, Hairspray, Artus – Excalibur oder Crazy for you war die bekannte und beliebte Musical-Darstellerin zu bewundern. Ab November steht Anne Welte erneut in einer Weltpremiere auf der Bühne: In der Uraufführung von „Wallace“ im Theater am Marientor wird sie als Mrs. Morven Short zu sehen sein. Bei der Cast-Präsentation sprach die Wahl-Hamburgerin mit Theaterliebe über nostalgische Theatermomente, besondere Rollen und das Ruhrgebiet.

Nach langer Zeit wird das Theater am Marientor mit Wallace wieder Spielstätte für eine Long-Run-Produktion. Vor 23 Jahren haben Sie hier in Les Misérables Mme. Thénardier gespielt. Ab November stehen Sie wieder auf dieser Bühne. Das ist sicherlich auch für Sie etwas Besonderes….

Das stimmt. Ich habe hier so viele Gefühle. Ich kann das gar nicht in Worte fassen. Als Wolfgang (Anmerkung: Produzent Wolfgang DeMarco) mich heute Morgen begrüßt hat, hatte ich Tränen in den Augen. Denn jedes Mal, wenn ich hier reinkomme, ist da so viel Nostalgie mit dabei. Das war auch schon bei den Auditions Anfang März so. Meine Zeit mit Les Misérables hat mich einfach sehr geprägt. Das war ja mein Anfang, wenn man so will. Ich habe zwar davor viele Produktionen gemacht – aber die waren alle in Hamburg. Bei Les Misérables war das zum ersten Mal anders. Und danach ging es dann ja auch los: mit der Welturaufführung von Tanz der Vampire in Wien.
Hier im Theater am Marientor hat meine Karriere außerhalb Hamburgs angefangen. Irgendwie schließt sich hier für mich ein Kreis. Selbst wenn ich danach nie wieder auf die Bühne gehe, ist es auch ok. Denn hier hat es angefangen, dann kann es auch hier enden (lacht).

Mit der Welturaufführung von Wallace geht es für das Theater am Marientor ja auch wieder zurück zu den Anfängen…

Das ist ein Traum. Und ich hoffe, dass die Menschen kommen und sich das Stück anschauen. Auch, um das Theater wiederaufleben zu lassen. Denn das hat das Haus verdient. Es wurde 1995 für Les Misérables gebaut und es war ein großartiges Haus. Und das ist es immer noch. Ich war mal bei einer Gala hier vor sieben Jahren. Da bin ich genauso nostalgisch hier herein und habe mit Tränen in den Augen auf der Hinterbühne gestanden – und wusste genau, da war meine Blackbox, da haben wir die Mikros bekommen. Das ist alles noch so präsent. Da habe ich damals schon gedacht: Mein Gott. Das Haus muss mal wieder zu seinen Anfängen zurück. Es ist zwar nicht so, dass gar nichts gelaufen wäre. Aber mit Wallace kommt jetzt eine Großproduktion. Und dann auch noch eine Welturaufführung. Also…was gibt es Besseres.

Wenn man so viel mit einem Theater verbindet, wie Sie und dann wieder dort auf der Bühne stehen könnte – geht man da anders in eine Audition?

Ich war aufgeregt. Natürlich ist das für mich auf der einen Seite wie nach Hause kommen. Auf der anderen Seite kenne ich das Stück nicht. Die Regisseurin Katja Thost-Hauser kannte ich auch nicht. Ich wusste auch nicht, was bei der Audition auf mich zukommt. Und: Ich bin ein ganz schlechter Audition-Gänger. Ich mache mir da immer so ins Hemd. Da muss man bei mir schon hinter die Kulissen gucken. Auf der Bühne ist das etwas ganz anderes. Da bin ich eine Rampensau. Aber bei Auditions, wenn man so geprüft wird, da bin ich immer froh, das hinter mir zu haben und gute Arbeit abgeliefert zu haben. Und das habe ich wohl – zu meiner großen Freude hat es ja geklappt.

Wissen Sie schon viel über das Stück und Ihre Rolle der Mrs. Short?

Ich kenne natürlich den Film Braveheart. Den kennt ja wahrscheinlich jeder. Diese Geschichte des Freiheitkämpfers William Wallace erzählt das Musical ja auch. Über Mrs. Short weiß ich von Regisseurin Katja Thost-Hauser und Produzent Wolfgang DeMarco, dass es eine sehr schöne Rolle sein soll. Sehr komisch, aber auch ernst. Also genau das, was ich gerne spiele – diese zwei Seelen in der Brust einer Darstellerin. Mme Thénardier ist ja auch urkomisch und gleichzeitig sehr tragisch. Genau das liebe ich. Und für mich ist es, nach Tanz der Vampire, natürlich auch ein Traum, wieder eine solche Rolle kreieren zu können. Wann hat man denn schon die Möglichkeit, bei zwei Welturaufführungen dabei zu sein und seine Rolle selbst kreieren zu dürfen.

Von all diesen Rollen, die Sie bereits verkörpert haben: Welche hat Sie besonders geprägt?

Neben Mme. Thénardier und die Rolle der Rebecca in Tanz der Vampire gibt es da tatsächlich noch eine: Mrs. Lovett in Sweeney Todd. Das war auch eine Wahnsinnsrolle und die hat mich sehr beansprucht. Diese Frau ist ja sehr schizophren. Sie ist ganz böse. Sie bringt Menschen um und verarbeitet die zu Pasteten. Und auf der anderen Seite ist sie eine ganz liebe Seele. Das hat mich sehr gereizt an dieser Rolle. Herauszufinden, wie kann dieser Charakter sein? Wie kann ich ihn darstellen?

Wie erarbeiten Sie sich eine Figur?

Wenn ich das Buch habe, dann lese ich es durch und versuche, mich in die Person reinzuversetzen. Ich überlege dann: Wo kommt die Figur her? Wie könnte ihr Leben vorher ausgesehen haben? Warum ist sie so, wie sie jetzt ist? Mit allen negativen und positiven Seiten. Und wenn das für mich klar ist, dann kommt die Figur eigentlich ganz automatisch aus mir raus. Ich bin niemand, der das spielt. Eine neue Rolle muss ich mir innerlich erarbeiten. Und dann ist es auch echt auf der Bühne. Ich mag es nicht, wenn man auf die Bühne geht und etwas nur „spielt“. Wenn ich auf die Bühne gehe, möchte ich Wahrhaftigkeit. Ich bin dann die Rolle, nicht Anne.

Ist es dann nicht besonders schwer, eine Figur auch wieder abzustreifen?

Ach, nein. Das Problem habe ich überhaupt nicht. Ich gehe mit meinen Kollegen von der Bühne, gehe in die Kantine und trinke ein alkoholfreies Bier. Als Anne. (lacht)

Bald leben Sie nach langer Zeit wieder mal im Ruhrgebiet…

Ja. Ich ziehe für Wallace wieder hierher. Eben wurde ich schon gefragt, ob ich meine alte Adresse noch weiß (schmunzelt). Und ich kenne sie wirklich noch: Tonhallenstraße 11 b. Im Dachgeschoss. Da konnte ich zu Fuß ins Theater.

Was verbinden Sie mit dem Ruhrgebiet?

Ich finde die Menschen im Ruhrgebiet sehr, sehr nett. Ich mag es, dass die Leute hier bodenständig sind. Das erinnert mich an das Saarland. Da komme ich ja auch ursprünglich her. Auch im Ruhrgebiet hilft einer dem anderen. Die Mentalität des Ruhrgebiets gefällt mir. Ich lebe natürlich auch sehr gerne in Hamburg. Beide Gegenden haben auch etwas gemeinsam: Ob in Hamburg oder im Ruhrgebiet – wenn du dort einmal Freunde gefunden hast, dann hast du sie für immer.

 

Das Musical Wallace feiert im November in Duisburg Premiere. Weitere Informationen gibt es hier.