Jesus Christ Superstar rockt in Gelsenkirchen

Schon während die ersten Zuschauer ihre Plätze einnehmen, beginnt auf der Bühne des Musiktheaters im Revier (MIR) das Spiel. Zwei Männer sitzen im Zwiegespräch vertieft auf dem Boden, die Bibel immer zur Hand. Mit der Overtüre werden sie zu Jesus und Judas, um zum Schluss der Rockoper Jesus Christ Superstar in Gelsenkirchen diese Rollen quasi wieder abzulegen. Dazwischen bietet das Andrew Lloyd Webber-Werk in der Inszenierung von Intendant Michael Schulz starke Leistungen einer überzeugenden Darsteller-Riege und einen zeitgenössischen Blick auf die Passionsgeschichte, der immer wieder auch eine Frage aufwirft: Wie sehen wir Jesus heute?

Jesus Christ Superstar: Zwischen Konsumrausch und Selfie-Wahn

Nicht nur schauspielerisch wird das 1971 uraufgeführte Stück in der Umsetzung am MIR eingerahmt. Das Bühnenbild bildet mit zwei hohen Infosäulen und wissenschaftlichen Erläuterungen zum Grabtuch Jesu auch einen Rahmen mit Museumscharakter. Durch ihn hindurch geht der Blick auf die letzten sieben Tage im Leben Jesu, die in sehr heutiger, schlicht-trister und doch wandelbarer Kulisse (Bühne: Kathrin-Susann Brose) spielen. Ein grauer Garagen-Hinterhof, ein graffitigeschmückter, verkommener Straßenzug oder ein düster-rotes Hinterzimmer, in dem die Priester als Geschäftsmänner im Businessanzug ihre Pläne zur Vernichtung Jesu schmieden, geben der modernen Interpretation Schulz´ wirkungsvoll Raum.

Eindrucksvolle Massenszene

Dabei gelingen dem Regisseur immer wieder eindrucksvolle Szenen, die aufrütteln und unter die Haut gehen.  Dann zum Beispiel, wenn die Vertreibung aus dem Tempel zur weihnachtlichen Konsumschlacht zwischen Geschenkebergen und Lametta-Girlanden wird (Fotos: Pedro Malinowski). Dann, wenn die Smartphone-Diktatur die Gesellschaft krank macht oder das Selfie selbst in der Folterszene nicht fehlen darf. Oder auch dann, wenn jeder Einzelne, der in der Menschenmasse die Kreuzigung fordert, Jesus – im Wortsinn – Schlag für Schlag selbst zu Fall bringt und sich das Blut von den Händen wischt. Andere Szenen hingegen wirken stellenweise etwas überladen und verlieren an Wirkung: Warum Maria Magdalena (mit jazzig-warmer Stimme und hohem Wiedererkennungswert: Theresa Weber) ihr Solo „I don´t know how to love him“ zwischen Pennern und Parkbank auf einer Mülltonne sitzend singt, erschließt sich nicht unbedingt. Und auch in der Szene in der Jesus mit Glitzerfrack und LED-Dornenkrone zum Revuestar wird, wäre etwas weniger vielleicht mehr gewesen.

Überzeugende Hauptdarsteller

Keinerlei Zweifel aufkommen lassen hingegen die beiden Hauptdarsteller: Henrik Wager als Jesus und Serkan Kaya als Judas waren bereits 2006 in der Inszenierung am Essener Aalto-Theater in diesen Rollen zu sehen und verstehen es auch in Gelsenkirchen zu glänzen. Henrik Wager verkörpert den Menschen Jesus mit all seinen Zweifeln, seiner Wut und seiner Resignation glaubwürdig. Die innere Zerrissenheit des Mahners Judas, der Einfluss auf das Geschehen nehmen will, aber letztlich keine Wahl hat, macht Serkan Kaya in Gesang und Spiel glaubhaft spürbar. Seine Darstellung lässt Judas nicht allein als Verräter da stehen, sondern bringt den Zwiespalt und die vielen Facetten der Figur zum Vorschein.

Auch die weiteren Rollen sind stimmig besetzt: Edward Lee ist ein eher aggressiver als zweifelnder Pilatus, Joachim G. Maß ist ein kühler, machtbesessener und gewaltbereiter Kaiphas und Rüdiger Frank trägt als Herodes die schräge Revue-Nummer stimmgewaltig. Der Rockband im Orchestergraben gelingt es unter der Leitung von Heribert Feckler mitzureißen und die Stimmungen der Songs – von bedrohlich bis nachdenklich – sicher zu transportieren und so ein weiteres Ausrufezeichen unter die  Gelsenkirchener Inszenierung zu setzen.

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