„Nicht auf der Bühne stehen zu können – da weint mein Herz.“

Im Gespräch mit Pauline Sell:  Der Start ins Berufsleben zu Pandemiezeiten

Pauline Sell hat hart daran gearbeitet, ihren Berufswunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Im Sommer 2020 schloss die junge Stuttgarterin ihre Ausbildung zur Musicaldarstellerin an der Jungen Akademie Stuttgart ab. Mitten in der Pandemie. Ihren Start ins Berufsleben, auf die Theaterbühnen, hat Corona ausgebremst. Erste Engagements wurden verschoben. Auch die deutsche Erstaufführung von Jane Eyre – die Abschlussproduktion ihres Jahrgangs, bei der sie die Hauptrolle spielt – wurde auf Januar 2022 verlegt. Im Interview mit Theaterliebe erzählt die 23-Jährige, wie sie ihren Abschluss unter Corona-Bedingungen erlebt hat, warum ihr das Musical Jane Eyre ans Herz gewachsen ist und wie sie in der Musicalbranche Fuß fassen möchte.

Du hast im letzten Jahr deine Ausbildung zur Musicaldarstellerin an der Jungen Akademie Stuttgart abgeschlossen. Die letzten Monate fielen mitten in die Pandemie….

Ja, der 13. März war auch für uns ein Stichtag. Von da an hatten wir viel Online-Unterricht. Das war natürlich für alle etwas ganz Neues. Jeder und jede Einzelne – ob Schüler:innen oder Dozent:innen – mussten sich erst in die neue Situation einfinden.

Wie ist das gelungen?

Wir sind kreativ geworden. Haben ausprobiert, was am besten funktioniert. Wir haben viel über Teams gearbeitet oder Videos zugeschickt bekommen. Und uns in Whatsapp-Gruppen ausgetauscht. Das war nicht immer einfach. Vor allem mit dem Gesangsunterricht via Video bin ich nicht wirklich warm geworden. Zum Glück durften wir von der Abschlussklasse als erstes wieder in den Präsenzunterricht. Erst einzeln im Gesangsunterricht. Später dann auch in festen Gruppen und mit strengen Hygienemaßnahmen und Auflagen.

Die Abschlussklasse der Jungen Akademie Stuttgart bringt seit 2017 immer auch eine Musical-Produktion auf die Bühne. Ihr habt für die deutsche Erstaufführung von Jane Eyre geprobt. Aufgeführt werden konnte das Stück bislang noch nicht.

Ursprünglich war die Show für Juli 2020 angesetzt. Die Zeit davor konnten wir zum Teil mit Masken proben. Das war auch eine Umstellung – und hart. Man muss von allem einfach mehr geben. Aber zumindest konnten wir proben. Da nimmt man das gerne in Kauf. Wir hatten das Stück zu etwa 70 Prozent gestellt. Wir kannten die Lieder, die Choreographien. Als klar war, dass die Premiere nicht stattfinden konnte, habe wir die Aufführungen in den November geschoben – und schnell gemerkt, dass auch das nichts wird.

Wir haben wieder alles umgekrempelt und erst neue Termine für diesen Sommer angesetzt, jetzt mussten wir die Termine noch einmal verschieben – auf Januar 2022. Wir hoffen sehr, dass es dann klappt. Und falls nicht: Wir werden so lange dranbleiben, bis jemand sagt: Ihr habt kein grünes Licht mehr. Natürlich ist die Ausgangslage schwierig, die Organisation und Planung anstrengend. Aber wir lieben das Stück einfach.

Was macht für dich das Besondere dieses Musicals aus?

Es ist ganz anders als das, was wir bisher gemacht haben. Am Anfang war ich eher skeptisch. Ich kannte das Musical nicht. Aber je mehr man eintaucht, desto mehr Facetten sieht man. Mittlerweile hänge ich sehr an diesem Stück. Es hat eine besondere Art und Weise, Emotionen darzustellen. Die Palette reicht von großer Freude bis zu tiefer Trauer. Es ist keine typische Liebesgeschichte. Es ist spannend. Und es werden viele Themen aufgegriffen, die auch heute aktuell sind. Wie wichtig es ist, an sich selbst zu glauben zum Beispiel. Und das finde ich sehr schön.

Du wirst Jane Eyre in dem Musical spielen. Welche Herausforderung bringt diese Rolle für dich mit sich?

Jane hat eine schwere Kindheit gehabt. Das merkt und sieht man ihr an. Sie ist sehr kühl. Sie lässt kaum Gefühle zu. Zeigt wenig Emotionen. Das zu spielen, ist schon eine Herausforderung für mich. Gleichzeitig ist Jane herzlich und sympathisch. Mutig und eigenwillig. Auch feministisch, würde ich sagen. Die richtige Balance in der Darstellung zu finden, ist wichtig.

Seit Juli 2020 bist du mit deiner Ausbildung fertig. Wie ist dir der Start ins Berufsleben gelungen? In einer Zeit, in der Theater noch immer geschlossen sind?

Leicht ist es natürlich nicht. Es gab verschiedene Phasen. Angefangen hat es gut: Eine Woche vor dem ersten Lockdown hatte ich ein Casting für ein Engagement auf einem Kreuzfahrtschiff und wurde genommen. Das war großartig für mich. Ich war hin und weg. Dann konnte die Reise nicht stattfinden – und nach der Begeisterung kam die Enttäuschung. Aber abgesagt wurde das Engagement nicht. Sobald die Reise möglich ist, bin ich dabei. Auch bei der Musical-Gala „Broadway meets Gießen“, die von Februar auf November geschoben werden musste, gehöre ich zur Cast. Und dann laufen natürlich aktuell die Online-Proben für Jane Eyre.

Wie überbrückst du die Zeit bis zu diesen Engagements und Aufführungen?

Ich arbeite nebenbei an der Musikschule, unterrichte Musik und Gesang. Das hält mich über Wasser. Seit Anfang des Jahres bin ich auch in der Musicalagentur Artinia. Das hat mir viel Hoffnung und positive Energie gegeben. Und ich arbeite als Vocal Coach bei der Freilichtbühne Hallenberg. Dort kann alles draußen stattfinden und es ist einfacher, zu proben.

Das klingt nach einem ganz guten Start bei den schwierigen Rahmenbedingungen…

Das stimmt. Immer wenn ich darüber rede, merke ich selbst, wieviel gerade wirklich ansteht. Ich bin zufrieden. Es ist nicht einfach. Es gibt immer mal wieder Frust. Aber ich denke, ich habe das Beste aus der Situation gemacht – mit viel Einsatz, Ehrgeiz und dem Vorsatz, das Positive zu sehen. Aber: nicht auf der Bühne stehen zu können – da weint mein Herz.

Hast du je darüber nachgedacht, einen anderen Weg einzuschlagen?

Darüber nachgedacht, habe ich immer wieder mal. Unabhängig von der Corona-Situation. Unser Beruf ist mit vielen Unsicherheiten verbunden. Aber alle, die ich durch meine Ausbildung kenne, gehen ihren Weg – auch wenn der nicht direkt auf die Bühne führt. Sie sind weiter kreativ. Oder verfolgen einen Plan B. Mein Problem ist nur: Für mich gibt es keinen Plan B. Ich wollte schon als Kind Musicaldarstellerin werden. Ich glaube, ich habe gesungen, bevor ich sprechen konnte. (Sie lacht). Ich wusste schon immer, dass ich das mache möchte. Und das hat sich nicht geändert.

Die deutsche Erstaufführung von Jane Eyre der Jungen Akademie Stuttgart findet im K – Kultur- und Kongresszentrum in Kornwestheim statt. Premiere ist am Freitag, 7. Januar um 19.30 Uhr. Weitere Aufführungen finden am Samstag, 8. Januar, und Sonntag, 9. Januar, statt. Weitere Informationen gibt es hier. Sollten die Termine verschoben werden müssen, behalten bereits gekaufte Tickets ihre Gültigkeit und werden bei Bedarf auch erstattet.